Montag, 21. Februar 2011

Wenn´s regnet (IX)



Namensuchmann kroch so schnell voran, dass seine Knie das Wasser in dicken Platschern von unten gegen sein Gesicht schleuderten. Er bekam etliches davon in die Nase und verspürte plötzlich einen würgenden Hustenreiz. Auch seine Hände patschten wieder und wieder in das unsichtbare, dunkle Wasser, doch fanden sie immer wieder die Linienkante, die einzige Orientierung, die einzige Richtung in dieser richtungslosen Welt. Nur weg von dem Bentley, weg von dem unheimlichen, riesigen Affen, der mit diesem seltsamen Blick in seine Richtung geschaut hatte. Namensuchmann versuchte, diesen Blick einzuordnen, während er so schnell es ging durch das handbreit hohe Wasser vorankroch. Er war nicht feindselig gewesen, eher überrascht. Doch wieviel Zeit benötigt ein Tier, um die erste Überraschung zu überwinden und zu entscheiden, doch lieber feindselig zu schauen? Namensuchmann beschloss, beim ersten Anzeichen eines erneuten Helligkeitsausbruchs sich sofort aufzurichten und zurückzublicken. Sein Bauch verkrampfte sich bei der Vorstellung, den Affen dann womöglich ganz in seiner Nähe zu erblicken. Aber vielleicht war der ja damit zufrieden, dass Namensuchmann von dem Bentley wegkroch und ihm so seine Beute überhaupt nicht streitig machte. Vielleicht....

Namensuchmann griff ins Leere.

Das Wasser war natürlich immer noch da. Nur die erhabene Linie dicht unter der Oberfläche nicht mehr. Namensuchmann fiel vornüber, sein ganzer rechter Arm versank im Wasser, bis er mit der Brust auf dem Ende der Linie zu liegen kam. Sein Gesicht tauchte ins Wasser ein, er japste nach Luft, hustete und rappelte sich mühevoll wieder in eine stabile, kauernde Position. Sein Herz raste, es musste jeden Moment aus seiner Brust hervorbrechen. Seine Unterarme ruhten auf der Linie, seine Fäuste umklammerten deren Ende. Er konnte seine Stirn auf seine Fäuste legen, ohne dass sein Gesicht ins Wasser eintauchte. Ein würgendes, knurrendes Geräusch war alles, was er sich erlaubte. Doch das presste er mit so viel Wut und Schmach heraus, dass es in einer höheren Dimension vermutlich als Weltzerstörungsschrei vernommen werden konnte. Aber nicht hier. Nicht in dieser prasselnden Dunkelheit, in der irgendwo ein riesiger Affe lauerte. Und kein Licht mehr.

Nach einer kleinen Ewigkeit ließ Namensuchmann das Ende der Linie los und tastete deren Seitenkanten ab. Der Noppenboden, auf dem die Linie aufgelegen hatte, war nicht mehr da. Sie schien nun frei im Wasser zu schweben, etwa eine handbreit stark und ebenso weit unter der Wasseroberfläche. Die Unterseite der Linie war mit denselben Noppen besetzt wie ihre Oberseite. Namensuchmann tauchte so weit wie möglich seinen Arm in das schwarze Nass, doch konnte er keinen Grund ertasten. Das Wasser schien immer noch ohne jede Strömung, und das einzige Geräusch war das Pladdern unzähliger dicker Regentropfen. Unablässiges, monotones Prasseln. Von stampfenden, platschenden und näherkommenden Affenfüßen war nichts zu hören.

Das Ende der Linie war das Ende von Namensuchmanns neuer Welt. Es ging nicht weiter. Ins Unbekannte hinauszuschwimmen kam nicht in Frage. Es gab nicht die geringste Orientierung, er würde die Linie, die nun eher einem vom Wasser überspülten Steg glich, niemals wiederfinden und dann jämmerlich ersaufen. Blieb nur ausharren oder umkehren. Keine neuen Lichterscheinungen.

Namensuchmann drehte sich vorsichtig auf seinen Knien um. Die Linie war etwa einen halben Meter breit, doch ohne den Noppenboden zu beiden Seiten schienen gähnende Abgründe nach Namensuchmann zu greifen. Der prasselnde Regen erzeugte auf dem schwarzen unsichtbaren Wasser zumindest eine ferne Illusion von Oberfläche, doch Namensuchmann drehte sich der Magen um bei dem Gedanken, wie tief er wohl sinken würde, wenn er versehentlich von dem Steg herunterglitt und ihn die Kräfte verließen. Aber da war noch der Affe. Körperlich hatte Namensuchmann nicht die geringte Chance gegen ihn, falls es zum Kampf kommen sollte. Falls der Affe feindselig sein sollte. Falls er Hunger hatte...oder sein Revier verteidigen wollte...doch was war das für ein Revier? Wie sollte man auf einem stehenden Gewässer Duftmarken setzen? Namensuchmann wurde sich plötzlich klar, dass derartige Sophistereien im Moment zu nichts führten. Die einzige relevante Frage war, ob Namensuchmann sich dem Affen stellen sollte, falls es unausweichlich darauf hinauslaufen sollte, oder ob er sein Heil im Wasser suchen sollte. Ins Ungewisse schwimmen in der Hoffnung, dass der Affe nicht schwimmen konnte.


Namensuchmann fing langsam an, auf der Linie zurückzukriechen. Er wollte auf keinen Fall dem Bentley zu nahe kommen, er hoffte vielmehr, dass irgendwann der Noppenboden wieder aus der Tiefe aufsteigen würde. Nach etwa zwei Metern war es schon soweit. Plötzlich ertasteten seine Hände neben der Linie wieder die vertraute Gummioberfläche. Eine genauere Untersuchung ergab, dass die Noppenfläche urplötzlich senkrecht abfiel, während die daraufliegende Linie einfach noch zwei Meter über den unsichtbaren Abgrund hinausragte. Daraus ergaben sich zwei Möglichkeiten: Namensuchmann konnte entweder die Linie verlassen und an der Abbruchkante entlangkriechen, oder er konnte sich zurück zum Bentley begeben. Sein Magen meldete sich mit einem unangenehmen Druck bei dem Gedanken, in stockfinsterer Nacht an einem womöglich unergründlichen Abgrund entlangzukriechen. Der Druck in seinem Bauch entlud sich jedoch plötzlich in einem langanhaltenden Gurgeln und Blubbern. Namensuchmann hatte Hunger.

Und Durst.

Er richtete sein Gesicht nach oben und öffnete den Mund. Dicke kühle Tropfen fielen auf seine Zunge. Das Wasser schmeckte köstlich. Er neigte sein Gesicht nach unten und probierte einen Schluck des stehenden Wassers. Es war salzig. Namensuchmann hoffte, dass es nicht aufhörte zu regnen.



Samstag, 12. Februar 2011

Ausgrabung



Im vollen Bewußtsein des dicken Endes
aus dem Kontext heraus nach Verwertbarem suchen
z.B. ein Mann grub ein Loch
das war fast 2 Meter tief und 2 Meter lang und dabei
halb so breit.
Drunten angekommen packte er sein Vesper aus
Ein Wurstbrot und ein Käsebrot, beide mit Gürkchen
dazu heisser Kaffee aus der Thermoskanne.
Im rechteckigen Himmelsblau über ihm zwei gekreuzte
weiß leuchtende Kondensstreifen formten ein
perfektes Fensterkreuz
Eine Mitleidspause bestreiten, dazu guten Kaffee und
das Schweigen des Mergels
Nach dem letzten Bissen war die Wurmwerdung fast
abgeschlossen, eine lockere Stelle im Geschiebe schon
ausgeguckt.
Das hell geschwollene Fortpflanzungssegment bereitete
noch etwas Mühe, eine Größenanpassung des Wurmganges
war vonnöten.



PS: ein Hinterteil auf einem Plattenteller ist eine Arschrevolution!