Dienstag, 25. Januar 2011

Wenn´s regnet (VIII)



Namensuchmann sah seinen Schatten. Und zwar so unvermittelt, dass er sich im ersten Moment gar nicht der Tragweite dieser Beobachtung bewusst wurde. Die Dunkelheit war vollkommen gewesen. Doch die völlige Abwesenheit selbst des kleinsten Lichtscheins wurde seltsamerweise vom Prasseln des Regens etwas gemildert. Lautlose Dunkelheit wäre unerträglich gewesen, zur Blindheit wäre noch Taubheit gekommen, eine Taubheit der Welt. Doch die Regentropfen plätscherten auf die unsichtbar dunkle Wasserfläche und hämmerten auf Namensuchmanns Rücken und Kopf, während er auf der leicht erhabenen Linie entlangkroch. Seine Hände fuhren an den beiden Linienkanten abwechselnd einige Zentimeter nach vorne, dann folgten abwechselnd die Knie. Er wusste, dass die Linie selbst nur zwei fingerbreit hoch war, trotzdem war Namensuchmann der Gedanke unangenehm, von ihr herunterzufallen, oder vielmehr zu rutschen. Der Noppenboden war derselbe, ob auf der Linie oder daneben, doch die Linie war fassbar, berechenbar, im Gegensatz zu allem, was sich daneben befinden mochte. Womöglich lauerte nicht weit entfernt ein Abgrund, über den das Wasser in die Tiefe rauschte, doch das war im Prasseln des Regens nicht zu beurteilen. Namensuchmann hob eine Hand leicht an, sodass sie keinen Bodenkontakt mehr hatte, sich aber immer noch unterhalb der Wasseroberfläche befand. Es war keinerlei Strömung festzustellen. Er wollte weiterkriechen, als er plötzlich einen runden schwarzen Umriss vor sich auf dem von schweren Tropfen aufgewühlten Wasser bemerkte. Es war der Schatten seines Kopfes. Schatten! Licht! Namensuchmann versuchte, seinen Kopf soweit nach oben zu drehen, wie es seine Haltung auf allen Vieren zuließ. Er wagte nicht, die Hände von den Linienkanten zu nehmen aus Angst, das Gleichgewicht zu verlieren und von der Linie herunterzufallen. Er konnte die Lichtquelle nicht erkennen. Ihm fiel ein, wie bescheuert seine Angst war, von einer zwei fingerbreit hohen Linie herunterzufallen und richtete seinen Oberkörper ganz auf, blieb aber auf den Knien. Die Welt war wieder dunkel. Doch zum Prasseln des Regens hatte sich ein unterschwelliges Grollen gesellt, fast wie Donner, aber nur fast. Es war ein regelmäßig pulsierendes Grollen, ein dumpfes Knattern, es hatte nichts gemein mit dem polternden Getöse eines natürlichen Donners. Dann war es verklungen. Namensuchmann beschloss, vorerst nicht weiterzukriechen, sondern auf einen eventuellen zweiten Lichtausbruch zu warten. Er schaute nach oben, nach hinten, wieder nach vorne. In jeder Richtung Dunkelheit, während ihm Sturzbäche von Wasser vom Kopf troffen. Der Kragen seiner Jacke war dicht geschlossen, darunter war er seltsamerweise immer noch trocken. Dann wurde es wieder hell. Nicht sehr hell, nicht taghell, die Schwärze änderte sich lediglich von einem tiefen Schwarz zu einem etwas helleren Grau. Auch die Helligkeit schien kaum merklich zu pulsieren. In der Ferne, wo eigentlich ein Horizont hätte sein müssen, erkannte Namensuchmann einen senkrecht aufsteigenden Mast; doch die Entfernung war unmöglich abzuschätzen. Er war dünn, doch aberwitzig hoch. Seltsam hoch. Unmöglich hoch. Dann wieder Dunkelheit. Es durchlief Namensuchmann wie ein Schock. Er musste sich unbedingt umdrehen, nach rückwärts schauen, wo sich der Bentley befinden musste. Vielleicht konnte er beim nächsten Lichtausbruch den Fahrer erkennen, entweder bewusstlos auf dem Boden liegend oder orientierungslos herumirrend. Namensuchmann drehte sich vorsichtig um, immer noch auf Knien und auf seinen Fersen hockend. Dann wartete er. Jegliches Zeitgefühl hatte ihn längst verlassen. Schwarz und unsichtbar prasselte der Regen. Sein linker Fuß begann unangenehm zu kribbeln. Wie lange sollte er dasitzen und in die schwarze Leere blicken in der Hoffnung auf einen neuerlichen Lichtausbruch? Die Helligkeit hatte beim zweiten Ereignis mindestens fünf Sekunden angehalten. Zeit genug eigentlich, sich während des Kriechens schnell aufzurichten und sich umzuwenden. Namensuchmann beschloss, sich wieder der ursprünglichen Richtung zuzuwenden und weiterzukriechen. Natürlich wurde es hell, kaum dass er seinen Kriechrhythmus wieder aufgenommen hatte. Er fuhr hoch und wendete sich um. Am nicht vorhandenen Horizont stand wie zuvor schon der irrwitzige Mast, ohne jegliche Oberflächenstruktur, wie ein vollkommenes Rohr in einem leicht helleren Grau als die Umgebung. Das Licht begann schon wieder knatternd zu verblassen, als tatsächlich der Bentley in Sicht kam, unwirklich nah und seltsam farblos, nur in fahles Grau getaucht. Vom Fahrer war keine Spur zu sehen. Doch am Heck des Wagens stand ein riesiger Affe, groß wie ein Gorilla, aber im Aussehen eher einem Pavian ähnlich. Er schien etwas auf der Rückbank zu suchen, ohne Hast, und schaute eher gelangweilt kurz in den fahlgrau erleuchteten Himmel, als wäre er selbst überrascht von der Helligkeit. Doch das Licht verblasste schnell, ohne dass Namensuchmann die Quelle hätte identifizieren können. Kurz bevor die absolute Dunkelheit wiederhergestellt war, hatte Namensuchmann den Eindruck, dass der Affe in seine Richtung blickte. Namensuchmann wandte sich wieder seiner Linie zu. Er kroch durch die absolute Dunkelheit so schnell, wie er noch nie in seinem Leben gekrochen war.





Donnerstag, 20. Januar 2011

Bilderrätsel

Natürlich ist das ein Hinterteil auf einem Plattenteller. Gesucht ist aber der Begriff, der sich dahinter verbirgt!

Montag, 17. Januar 2011

Che Guevara im Weltall


Ich liebe Astronomen. Gerade neulich wieder hätte ich am liebsten einen geknuddelt, allerdings befand er sich nicht in Reichweite, ich las lediglich eine kleine Geschichte von ihm über die Schwierigkeiten, mit denen die Sterngucker während der vergangenen Jahrhunderte zu kämpfen hatten bei ihrem Bestreben, die Entfernungen der Sterne zur Erde zu bestimmen.

Ich las also so vor mich hin, als ich auf folgenden Satz stieß:

"Als Spiegelbild der Erdrevolution müssen die Sterne pro Jahr eine vollständige Ellipse beschreiben, die umso kleiner ausfällt, je weiter der Stern entfernt ist...."

Mich hat es fast zerrissen! Erdrevolution! Auf die Idee, so nonchalant und ohne großes Aufheben ein solches Kompositum in einen eigentlich ganz harmlosen Text einzubauen, muss man erstmal kommen. Das Wort passt natürlich perfekt. Schließlich stammt Revolution etymologisch vom lateinischen revolvere ab, was soviel wie umdrehen, umwälzen bedeutet. Und nichts anderes war gemeint als die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne.
Manch einer wäre vielleicht versucht gewesen, so einen Coup extra noch ein wenig zu akzentuieren, womöglich durch einen Smiley hinter dem Wort. Oder gar einem kursiv angefügten hihi, schamhaft in Klammern gesetzt. Aber nein. Ohne Vorwarnung und ohne jede begleitende Erklärung kommt dieses herrliche Wort einfach so aus dem Nichts und prangt plötzlich vor einem auf dem Papier. Erdrevolution.
Es dauerte lange, bis ich mich wieder gefangen hatte. Ich las den Absatz nochmal und nochmal und war jedes Mal voll freudiger Erwartung, als ich mich lesend dem Wort näherte. Noch ein Satz...noch ein halber....jetzt, nach diesem Wort.... Erdrevolution! Fast kugelte ich mich auf Boden, trampelte mit den Füßen, haute auf den Tisch, wischte mir Rotz und Lachtränen weg.
Im Grunde möchte ich dereinst, wenn ich das Zeitliche gesegnet habe, verbrannt und die Asche soll in alle Winde zerstreut werden, doch das hätte den Nachteil, dass ich auf einen Grabstein verzichten müsste. Nun jedoch überlege ich, mir zumindest ein Urnengrab vormerken zu lassen mit einem kleinen doch würdigen Grabstein, auf dem nur ein Wort stehen soll: Erdrevolution
Das hätte sogar noch den positiven Nebeneffekt, dass einige Besucher den Friedhof mit mehr Synapsen verlassen würden als sie ihn betreten haben. Ein letzter altruistischer Dienst an der Menschheit meinerseits.

Irgendwann dann konnte ich mich wieder auf den Text konzentrieren und wurde sogleich in das Jammertal bohrender Minderwertigkeitskomplexe gestossen. Es ging um den italienischen Priester, Astronom und Mathematiker Guiseppe Piazzi. Der entdeckte im Jahre 1792, dass der Stern 61 Cyg eine sehr starke Eigenbewegung aufweist. Nun muss man wissen, dass die Sterne am Himmel natürlich nicht alle einen Eigennamen haben wie Wega oder Aldebaran. Also ging man daran, den hellsten Stern eines Sternbildes mit einem griechischen alpha und dem Genitiv des Sternbildes zu benennen. Jeder kennt vermutlich alpha Centauri. Das ist der hellste Stern im Sternbild Zentaur. Der zweithellste Stern ist dann beta Centauri usw. Irgendwann ist man aber durch mit dem griechischen Alphabet und hat noch jede Menge Sterne über. Die werden dann einfach durchnummeriert, wodurch man beispielsweise im Sternbild Schwan (Cygnus) irgendwann beim Stern Nr. 61 ankommt. Und der Genitiv von Cygnus lautet Cygni.
Wer sich bei den heutigen Lichtverhältnissen das Sternbild Schwan anschaut, wird Schwierigkeiten haben, überhaupt 24 Sterne für das griechische Alphabet zusammenzubekommen, geschweige denn weitere fünf Dutzend bis man bei 61 Cyg angekommen ist, einem Sternchen fünfter Größenklasse. Das heisst, es ist bei idealen Sichtbedingungen mit bloßem Auge gerade noch zu sehen. (es steht zwar geschrieben, dass auch Sterne der sechsten Größenklasse ohne Hilfsmittel noch gesehen werden können, aber das gilt nur in der Theorie). Fünfte Größenklasse ist absolute Grenze, selbst bei Neumond im Hochgebirge.
Unserem Herrn Piazzi war dieses kleine, unscheinbare Sternchen aber offensichtlich nicht unscheinbar genug, um es nicht ein wenig zu vermessen. Kann ja nicht schaden.

Wie lange Herr Piazzi sich das kleine Sternchen (und vermutlich viele andere) nun anschaute, ist nicht überliefert. Im Jahre 1792 war es dann aber soweit. Er hatte herausgefunden, dass 61 Cyg seine Position relativ zu den anderen Sternen um monströse 5´´ pro Jahr veränderte. 5 Bogensekunden! Pro Jahr!
Nun ergeben 60 Bogensekunden eine Bogenminute (´), 60 Bogenminuten ergeben ein Winkelgrad. Sonne und Mond erscheinen uns am Himmel mit einem Durchmesser von ca. einem halben Grad, d.h. 30´(Bogenminuten). Will man sich am Himmel also den Abstand einer Bogensekunde veranschaulichen, nehme man den Vollmond und teile seinen Durchmesser in 1800 Teile. Um fünf Teile davon bewegt sich 61 Cyg pro Jahr voran. Oder anders ausgedrückt: in dreihundertsechzig Jahren durchmisst 61 Cyg einen Vollmonddurchmesser.
Und das hat Herr Piazzi mit einem Instrument herausgefunden, das heute kaum noch als Kinderspielzeug durchgehen würde, dessen Linse optisch mit einem Colaflaschenboden konkurieren müsste. Vor fast 220 Jahren! Herrgott nochmal, was hat er sich nur dabei gedacht?

Es war natürlich naheliegend, dass ein sich schnell bewegender Stern der Erde näher ist als ein langsamerer. Schließlich bewegt sich auch ein Jogger im Vordergrund schneller als ein Flugzeug am Himmel. Es verwundert also nicht, dass Friedrich Wilhelm Bessel im Jahre 1838 an 61 Cyg zum allerersten Mal einen Parallaxenwinkel messen und damit die Entfernung von der Erde berechnen konnte. Für den Parallaxenwinkel misst man den Winkel des Sterns zur Sonne. Mit dem Erdbahnradius als Basislinie und dem Parallaxenwinkel ist der Rest nur noch einfache Trigonometrie. Dieses Verfahren funktioniert allerdings nur bei den allernächsten Sternen. Es ist eine Genauigkeit bei den Messungen vonnöten, die einem schon wieder die Ehrfurchtsröte ins Gesicht treibt.



(Quelle: Kosmos Himmelsjahr 2011)

Sonntag, 2. Januar 2011

Erde in Sonnennähe



Am 3. Januar ist es mal wieder soweit: die Erde durchläuft ihren sonnennächsten Bahnpunkt des Jahres. Der Abstand zur Sonne beträgt an diesem Tag zwar immer noch gute 147 Millionen Kilometer, doch das sind immerhin 5 Mio weniger als am 4. Juli, wenn der Abstand mit 152 Mio Kilometern sein jährliches Maximum erreicht. Grund dafür ist natürlich, dass die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne keinen Kreis beschreibt, sondern eine Ellipse. Diese ist allerdings nicht so ausgeprägt, wie man sich Ellipsen gemeinhin vorstellt. Hätte man die Erde in ein gigantisches Tintenfass getaucht und würde sie auf einem Blatt Papier um die Sonne rollen lassen, wäre ihre Bahn kaum von einem Kreis zu unterscheiden. Man kann sich zur Veranschaulichung aber auch vorstellen, die Erde hinterließe alle 1 Mio Km einen Magmapupser auf ihrer Bahn, sodass ein Alien von weitem den Eindruck einer rotglühenden Perlenkette hätte. Nach einem Jahr, also nach einem kompletten Erdumlauf, wäre die Perlenkette geschlossen und die Erde leergepupst. Der Alien denkt sich dann: "Diese Perlenkette, die in Wahrheit ja eigentlich eine Magmaklumpenkette ist, sieht fast vollkommen kreisförmig aus. Aber da ich ein Alien bin und interstellare Raumfahrt betreibe, kenne ich natürlich das erste Keplersche Gesetz, das da besagt: `Planetenbahnen sind Ellipsen, in deren einen Brennpunkt die Sonne steht´. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für Ärsche, wenn auch in einem arg verkleinerten Maßstab. Allerdings nur, wenn der Arsch nicht über einen Eigenantrieb verfügt, der selbstverständlich....."
Doch hier verlassen wir die Überlegungen unseres Aliens und wenden uns wieder der Erde zu, die ohne ihr flatuliertes Stützgerüst natürlich unweigerlich in sich zusammenfällt und fürderhin ihr Dasein als wackerer kleiner Asteroid fristen muss. Kartoffelförmig verformt, im Idealfall vielleicht sogar hantelförmig, könnte dieser Asteroid optisch durchaus als kosmischer Verschluss unserer Magmaklumpenkette durchgehen.
Dass die Erde ausgerechnet dann der Sonne am nächsten kommt, wenn bei uns in Deutschland Winter herrscht, ist natürlich nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Denn Winter ist es nur deshalb, weil die Sonne aufgrund der gekippten Erdachse viel tiefer über den Himmel wandert als im Sommer, wenn sie zu Mittag fast senkrecht über unseren Köpfen steht.