Freitag, 6. September 2013

Am Flughafen


Blauschimmer, durchscheinend und klar, von milder Beschaffenheit, leicht luftig, kühl, aber nicht kalt. Frische, die in den Lungen kitzelt. 

Mein Schwager kam aus Amerika oder Russland herüber, beshortst und besneakert als ginge es schnurstracks in die Zombieapokalypse wo es bekanntermaßen sehr auf Beweglichkeit, Schnelligkeit und Lautlosigkeit ankommt. Im Gepäck hatte er eine große Ballonflasche selbstgebrannten Wodkas. Genaugenommen bestand sein ganzes Gebäck aus einer einzigen riesigen Ballonflasche, die allerdings schon zu einem Viertel geleert war.

"Wie bist du damit ins Flugzeug gekommen?", fragte meine Begleiterin, eine große schlanke  Frau mittleren Alters mit einer brünetten Lockenpracht bis auf die Schultern. Ich schaute sie an als hätten ihre Worte eine Tarnkappe von ihrem Körper gezogen. Denn immer erschien sie mir wie eben erst auf die Welt gefallen, oder als wäre sie gerade erst durch einen Dimensionsriss neben mich getreten. Man brauchte sie nur anzusehen und man wusste, dass sie atemberaubend gut roch. Ich nahm mir wieder einmal vor, sie bei Gelegenheit nach ihrem Namen zu fragen und nach dem Grund, warum sie mich begleitet. Aber nicht jetzt.

"Ich bin nicht geflogen", sagte mein Schwager und ich dachte darüber nach, welche von meinen Schwestern er eigentlich geheiratet hatte. "Ich bin den ganzen Weg zu Fuß gegangen."

"Zu Fuß? Aus Amerika herüber?", war die nächste Frage meiner wohlriechenden Begleiterin.

"Klar. Die Beringstraße ist um diese Jahreszeit sehr gut begehbar; jedenfalls solange man eine große Ballonflasche bei sich trägt. Und die Russen sind ein sehr hilfsbereites Völkchen."

Der Mann, den ich anfangs als meinen Schwager bezeichnet hatte weil es seltsamerweise richtig zu sein schien setzte seinen Marsch mit raumgreifenden Schritten fort und entfernte sich schnell von mir und meiner Begleiterin. Der Inhalt seiner noch zu drei vierteln gefüllten Ballonflasche gluckerte und gluckste im Rhythmus seines Gangs. Schon war er um die nächste Ecke herum, und auch das Glucksen war plötzlich verschwunden als hätte sich eine dicke Flauschdecke über ihn gehüllt. Der Flughafen hingegen lärmte nach wie vor, die Menschen öffneten und schlossen ihre Münder, schnappten nach Luft und trugen seltsame Farben und Muster.

"Das ist nicht mein Schwager", sagte ich zu der Frau, die mich seit heute morgen begleitete. "Das ist ein anderer Mann."

"Im Grunde spielt das keine Rolle", sagte sie, "Wohin gehen wir jetzt?"