Freitag, 11. Dezember 2020

Montag, 7. Dezember 2020

Die Walnusspackung

 Namensuchmann war zufrieden. Akkribisch faltete er die leere Walnusspackung auf ein Viertel ihrer Größe zusammen, damit sie im Gelben Sack nicht soviel Platz wegnahm. Liebevoll strich er nochmals über die Klebelinie, welche die Packung wiederverschließbar machen sollte. Diese Klebelinie war immer noch von ihrem Schutzstreifen bedeckt, denn Namensuchmann konnte es gar nicht leiden, wenn diese Klebelinie im Laufe der mehrwöchigen langsamen Entleerung der Packung verschmutzte. 

Und sie verschmutzte sehr schnell, egal wie sehr Namensuchmann aufpasste. Seine täglichen Obstmahlzeiten brachten es nämlich mit sich, dass er die Packung immer mit obstsaftverschmierten Fingern öffnen musste falls er sich vor Ende der Zubereitung nicht extra die Hände waschen wollte. Aber nach jedem Kontakt mit seinen klebrigen Fingern war der Klebestreifen weniger wirksam, und lange bevor die Tüte geleert war klebte der Streifen nicht mehr, hielt die Tüte nicht mehr geschlossen. Das war ärgerlich.

Nicht so ärgerlich war es hingegen, den Schutzstreifen einfach draufzulassen und so die Klebelinie vor jeder Verschmutzung zu bewahren. Natürlich war auf diese Weise  die Tüte nicht zu verschließen, Namensuchmann musste sie immer offen in das Vorratsregal zurückstellen. 

Nun war sie leer und konnte mitsamt ihrem perfekt sauberen weil unbenutzten Klebeverschluss in die Tonne. Ach, die Welt konnte so einfach sein, dachte  Namensuchmann zufrieden.

Freitag, 16. Oktober 2020

Alles so staubig hier

Embryomann erschrak. Vor ihm stiegen grunzende und prustende Neoprenmänner aus den Fluten und watschelten ungelenk an Land. 

Magdalena, komm herunter und gib mir die Dinge, die uns begraben.



Freitag, 10. Juli 2020

Politiker der Zeitgeschichte, schreiend im Weltall

Heute: Jair Bolsonaro (beim Versuch, noch schnell das Universum abzuholzen)






Mittwoch, 1. Juli 2020

Marching Daisies



Es herrscht Krieg, und niemand weiß, wie er begann. Die Menschen haben sich ins Innere der Kontinente zurückgezogen, möglichst weit weg von jeder Küste. Wer blieb, wurde durch Lärm jenseits aller Vorstellungskraft verflüssigt, von kranker und erschöpfter Erde aufgesogen oder direkt in die toten Ozeane gespült. Doch noch immer saugt die Sonne dünne Wolken aus den Meeren und schickt sie mit den letzten Winden in die inneren Landesteile.

Das Glockenschiff ist im Krieg mit dem Trommelschiff. Sie suchen einander und sie flüchten einander, und niemand weiß, wer sie gebaut und losgeschickt hat. Monströse Kähne, rostig, verölt und mit dysfunktionalen Rümpfen, die jede Strömungsmechanik verneinen. Das Ziel ist, den Gegner durch Schalldruck und Vibration von der Erde zu vertreiben und ins Weltall zu stoßen.

Die Vibrationen der stündlichen Glockenschläge dringen durch den Erdkern auf die andere Seite des Planeten, wo das Trommelschiff mit dröhnendem Krachen antwortet. Die Menschen in den Gebirgen und Hochebenen verbringen ihr Leben im Stundenrhythmus der Erschütterungen, wer nicht beizeiten eine Höhle oder einen tiefen Stollen aufsucht, fällt dem Wahnsinn anheim.

Gänseblümchen, synonym für Unschuld und aufdringliche Bescheidenheit, sie wuchern und streben den Steilküsten entgegen, mäandern wie uralte Ströme durch verlassenes Marschland und zu den Stränden, todesmutig oder sorglos, wer weiß? Womöglich haben sie einen Plan. 


Sonntag, 28. Juni 2020

Dampfwalzenblues

Diese schreckliche Gewissheit, eine zu große Überschrift gefunden zu haben; zu wissen, dass man an ihr nur scheitern kann, dass man sie niemals ins Boot bekommen wird. Stattdessen nimmt man ein Ruder zur Hand und fängt an, auf alles einzuprügeln, das sich ihr auch nur nähert. Doch alles ist vergebens, es bleiben nur die Gräten und ein monströser Kopf zwischen all dem Unrat auf dem kiesigen, trostlosen Strand. Wo ist die Hafenkneipe?

Dampfwalzenblues, der (m): unterschwellige Traurigkeit bei dem Gedanken, dass es keine Dampfwalzen mehr gibt. 

Namensuchmann sitzt gegenüber des Kanzleramts, darin haust das sagenumwobene Merkelwesen, aber er hat keinerlei Angst und trinkt das frische Schankbier. Das Merkelwesen hat nichts bezahlt, um in dem Sterilisator hausen zu dürfen, soviel scheint immerhin klar zu sein; und nachts jodeln die Geister der Zukunft durch die von trüben Notlichtern beschummerten Flure. Grüne Männchen auf der Flucht. Wurde schon etwas über Hütten erzählt?

„Was denn für Hütten? Etwa solche, in denen ein Merkelwesen haust?“

Nein, Hütten mit so klebrigen Dächern, dass der Abstreifer die Reste kaum wieder von den Walzen zu schaben vermag, nachdem sie darüber hinweggerollt sind. 

„Was für Walzen denn? Dampfwalzen etwa?“

Es gibt schon längst keine Dampfwalzen mehr. Nein, ich meine diese modernen Walzen, wie man sie aus dem Straßenbau kennt, nur größer. Viel größer. Und fast durchsichtig. Am besten schaut man etwas daran vorbei, dann kann man es am besten erkennen, das Walzenflimmern, wie es die Hütten plattmacht.

„Von einem klebrigen Dach kann man nicht herunterfallen. Das ist auf jeden Fall ein Vorteil. Wobei, so eine Hütte ist ja nicht sehr hoch und steht ohnehin meistens auf weichem Waldboden.“

Es gibt auch Hütten in der Stadt und sogar in Gewerbegebieten. Da kann der Untergrund und die Umgebung durchaus sehr hart sein.

„Unterkühltes Wasser ist flüssig, obwohl es bis weit unter den Gefrierpunkt abgekühlt wurde. Der Trick ist, die Temperatur absolut erschütterungs- und vibrationsfrei abzusenken. Hat man einen Eimer voll unterkühltes Wasser, dann braucht man nur sachte dagegenzuklopfen, und im Nu friert der gesamte Eimerinhalt in einem Sekundenbruchteil durch. Es macht nur kurz knaarcks, und man hat einen kompletten Eisblock im Eimer.“

Interessant, aber was willst du mir damit sagen?

„Ich klopfe jetzt kurz mit diesem Hammer (holt ein geologisches Steinhämmerchen hervor) an diese Szene, und sie wird in einem Sekundenbruchteil zu eisigem Schweigen gefrieren“

Mach doch.

Jenseits des knaarcks breitet sich unirdisches Flimmern aus.





Donnerstag, 18. Juni 2020

Mitglieder des europäischen Hochadels, schreiend im Weltraum

Heute: Harry Sussex (beim Versuch, sich im Orbit um Epsilon Eridani eine Existenz als Polo-Selbständiger aufzubauen)


Sonntag, 14. Juni 2020

Flying high

Namensuchmann saß am Flußufer und schaute auf das vom letzten Unwetter braun-brackige Wasser, als ihn ein solch gewaltiger Tritt in den Rücken traf, dass er im hohen Bogen in den Himmel stieg. Er fragte sich, wann er wohl den Scheitelpunkt seiner ballistischen Flugbahn erreichen oder ob er es womöglich bis in eine Umlaufbahn schaffen würde. 
Schon sah er sich mit herausgequollenen Augen schreiend im Weltall, als die Details der Erdoberfläche nicht mehr kleiner zu werden schienen, sondern, im Gegenteil, schon wieder größer wurden. Wolkenfetzen schossen vorüber, aber sie waren schwer einzuschätzen. Cumulus oder Stratocumulus? Und wer oder was hatte ihn überhaupt getreten? Es war ein ordentlicher Punch, soviel war sicher. War er verletzt? Er zog jedenfalls keinen roten Kondensstreifen hinter sich her, das war schon mal beruhigend. Alles halb so wild also.

Aber worüber hatte er nachgedacht, vor einer Minute, als er noch am Ufer saß? Irgendwo war eine Oase gewesen in der Wüste in seinem Kopf, von riesigen Wanderdünen bedroht, die müde auf den kleinen grün-blauen Flecken hinunterschauten.

Ach ja, er suchte nach Worten, um etwas beschreiben zu können, für das es keine Worte gibt. Nicht einmal Symbole, Zeichen oder Töne. Keine Farben, keine Formen. Ein nicht triviales Unterfangen, aber lösbar, da war er sich sicher. Vorausgesetzt, die Landung wurde nicht allzu hart. To be continued



Sonntag, 7. Juni 2020

Präsidenten, schreiend im Weltall

Heute: D. Trump, W. Putin und Xi J. (bei dem Gedanken, dass sie nicht ewig leben und die Erde sich aber trotzdem weiterdrehen wird).

 

Dienstag, 2. Juni 2020

Prominente der Zeitgeschichte, schreiend im Weltall

Heute: Bill Gates (bei dem Versuch, um Epsilon Eridani einen Chemtrail zu legen, um die indigenen Epsiloniden zu einem Angriff auf die Erde aufzuwiegeln).

 

Mittwoch, 20. Mai 2020

La déesse diabolique

Als alles vorbei war, konnte man die aufgerissenen Straßen und Gebäudeteile fast gänzlich mit Dämonenschädeln pflastern und flicken. Darauf fuhr es sich weniger holperig als auf dem gewohnten, seit alters her bewährten Kopfsteinpflaster; es fühlte sich angenehm gedämpft an, wie die Luftfederung in einer der ersten Göttinnen von Citroën. Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, es läge an den alten, bestialischen Dämonengedanken, die auf ewig in den Schädeldächern der Beelzebubs, Bobermotts und Schabsäger nachschwingen und alles Eukaryotische abstoßen würden.

Derweil die Sonne scheint, frühlingshaft hart, und die braunen marmorierten Schädel zum Glitzern bringt. Eine steife, kühle Brise häuft Sand an in den Fugen, oder ist es Dämonenstaub? Die Folgen des Einatmens dieses Staubes sind noch nicht erforscht. Drohen etwa Folgeschäden wie Asbestose, Staub- oder Raucherlunge? Wir haben sie besiegt, mit mehr Glück als Verstand, zugegeben, aber sterben nun an Dämonenstaub?

"Mach´ Dir nicht so viele Gedanken", sagt der Torwächter in väterlichem Ton, "Dämonenstaub ist völlig ungefährlich, solange man ihn nicht bei Vollmond einatmet."

"Wie lange vor und nach Vollmond darf man ihn denn nicht einatmen?"

"Na ja, in der Nacht des Vollmondes, da soll man eben keinen Dämonenstaub einatmen."

"Aber `Vollmond´ ist ein auf die Sekunde genau berechenbarer Zeitpunkt. Er tritt ein, wenn die Ebene, die von den drei Punkten Sonne, Erde und Mond definiert wird, genau senkrecht auf der Ekliptik steht und die Erde sich zwischen Mond und Sonne befindet. Dieser Zeitpunkt kann auch mitten am Tag sein. Welches ist dann die Vollmondnacht? Die vorhergehende oder die darauf folgende?"

"Hm...na ja...also ich würde sagen, die Vollmondnacht ist die Nacht, die näher am astronomischen Zeitpunkt des Vollmondes dran ist! Ja, genau, so ist das!"

"Aber wann beginnt und endet eine Nacht? Schließlich gibt es eine bürgerliche, eine nautische und eine astronomische Dämmerung."

"Klugscheißer."

Ich verlasse den Torwächter und denke an die Welt, wie sie war, bevor sich Staub aus den Exoskeletten von Dämonen in den Straßen anhäufte. Als es noch Kopfsteinpflaster gab, so hart und unbarmherzig, dass es einem beim Fahrrad fahren nach hundert Metern die Handgelenke zerschlagen hat. Ich ziehe eine Line; mit einer längst abgelaufenen Kreditkarte der verkommenen Barclays Bank hacke ich die gröberen Dämonensplitter fein. Nasenfein.




Montag, 11. Mai 2020

Sonntag, 10. Mai 2020

Donnerstag, 26. März 2020

Der Haremsplanet

Eine Einleitung. Ein Königreich für eine Einleitung!

"Einleitungen werden überbewertet. Es sei denn, es handelt sich um die Einleitung von Gülle in den nächsten Bach. Das wäre dann ein Fall für die Staatsanwaltschaft."

Guter Punkt. Gülle. Ich könnte Gülle in diesen Blog einleiten und warten, bis die Posts mit ihren hellen Bäuchen nach oben durchs Layout treiben. Wie bequem man sie sich dann greifen könnte. Endlich vorbei die Zeiten, wo man sie kaum erblickt hat und schon sind sie hinter dem nächstbesten, von Phrasen ummurmelten Wortgetüm verschwunden. Nur die Hand, die würde dann natürlich nach Gülle duften.

"´Ummurmelt`gefällt mir. Erinnert mich an Rilke: `Meine Stille ist die eines Steines, über den der Bach sein Murmeln zieht´."

Ich bin Rilke-Fan, na und? Ich mag auch Kafka. Diese beiden halten mich im Gleichgewicht, während vorne und hinter mir flüchtige Schatten aus den Wolken nach unten fallen. Manchmal rede ich mir ein, ich sähe darin die Konturen von schlanken Raubvogelschwingen im Sturzflug. Aber in Wahrheit sind es natürlich weit ausgebreitete, fuchtelnde Arme. Den Ton schalte ich bei diesen Visionen immer ab.

"Das ist sehr vernünftig. Aber worum geht´s eigentlich hier? Oben las ich etwas von einem Haremsplaneten. Das klingt doch zumindest frivol. Bin gespannt."

Ach nein, es geht nur um die Venus, den Planeten der Liebe. Er ist zur Zeit Abendstern und schon kurz nach Sonnenuntergang nicht zu übersehen, der hellste und erste Stern am Himmel. Man muss nicht einmal sagen, in welche Himmelsrichtung man schauen soll, man dreht sich einfach einmal um sich selbst, und irgendwann sieht man ihn (hoch im Südwesten).

Wegen ihres Glanzes war die Venus in fast allen Kulturen der Göttin der Liebe gewidmet.  Bei den Sumerern hieß sie Iuanna, bei den Babyloniern Ishtar, bei den Ägyptern Isis, bei den Arabern Al-Uzza, bei den Phöniziern Astarte, bei den Griechen Aphrodite und bei den Römern schließlich Venus. Die Germanen sahen in Venus die Göttin Freya, auch für Liebesdinge zuständig, und widmeten ihr den Freitag. Oder wer immer später für die Benennung der Wochentage zuständig war. Die Franzosen machten daraus ihren Vendredi.

Nur bei den Indern steht die Venus für einen männlichen Gott. Für Sukra, der Glänzende. 

"Warum wundert mich das jetzt nicht?"

Hüstel....also, die Venusoberfläche ist unter einer perfekten weissen Wolkenhülle verborgen. Kein noch so gutes Fernrohr kann sie durchdringen. Erst, seit man zahlreiche Sonden hingeschickt hat, welche mittels Radarabtastung die Oberfläche kartierten, weiß man mehr darüber. Es gibt Berge, Krater, erloschene Vulkane und Lavakanäle, eben alles, was man so als Planet braucht.

"Schön, da gab es ja dann eine Menge Namen zu verteilen." 

Genau. Es war ein Fest für Namensverteiler. Allerdings hat die IAU, die internationale Vereinigung der Astronomen, beschlossen, ausschließlich weibliche Namen zu verwenden. Entweder aus der Mythologie oder von verstorbenen Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen.

"Nun bin ich aber gespannt, wann die Kurve zum Haremsplaneten kommt."

Natürlich gilt auch hier: keine Regel ohne Ausnahme. Es gibt eine einzige Geländeformation, die zu Ehren eines Mannes benannt wurde, nämlich der Maxwell Montes, nach James Clark Maxwell, ein schottischer Physiker des 19. Jahrhunderts. Natürlich wurde ihm kein x-beliebiges Dreckseinschlagsloch gewidmet, sondern die höchste und mächtigste Gebirgsformation auf der Venus. So wie es sich gehört.

"Verstehe."


(Quelle: Hans Ulrich Keller, Kosmos Himmelsjahr 2020)




Montag, 23. März 2020

EDEKA

Namensuchmann wird immer langsamer, wie ein Spielzeugroboter, dessen Aufzugsfeder langsam erlahmt. Nicht zu schnell... laaaangsam langsamer werden. Metalangsam sozusagen. Und dabei nicht umfallen, das Gleichgewicht halten. Die Menschen um ihn herum werden unscharf, die Farben ihrer Klamotten beginnen zu verschwimmen und sich zu flirrenden Strichen langzuziehen. Sie beginnen zu summen. Aber sie summen keine Melodien, der Summton entsteht durch ihre schiere Geschwindigkeit relativ zu Namensuchmanns Stillstand. Stimmen, Sätze, Schritte und andere Geräusche werden zu stechmückenhaftem Sirren beschleunigt. 
Ein leises Knistern und Knacken macht sich bemerkbar. Das ist neu für Namensuchmann, soweit kam er noch nie. Das heißt, so laaaangsam wurde er noch nie. Mit äusserster Konzentration unter den Zeitfluss tauchen, sich absinken lassen, dabei durchsichtig werden und durchlässig. Fluffige Zeitflocken werden infolge der rasenden Relativgeschwindigkeit zu Gewehrkugeln, aber sie finden keinen Widerstand mehr, ja wundern sich nicht einmal, als sie wirkungslos durch Namensuchmann hindurchfliegen.
Um den fast perfekten Stillstand nicht zu stören, versucht Namensuchmann seinen Kopf virtuell zu drehen, versucht die Simulation einer Drehung, um seinen Ohren einen alternativen Hörwinkel zu ermöglichen. Sich bloß nicht wirklich bewegen, nicht die Annäherung an den absoluten Stillstand gefährden.  Doch was das Knistern und Knacken verursacht, kann er nicht erkennen, so sehr er sich zu konzentrieren versucht. Das große Knistern. Ist das das letzte Geräusch vor dem absoluten Stillstand, wenn die Relativgeschwindigkeit zur menschlichen Realität unendlich wird?
Der Markt ist längst geschlossen und verlassen, die leeren Gänge sind nur noch spärlich beleuchtet. Der kleine Engel sitzt auf den Schultern des riesigen Zombies und lenkt ihn sachte zum leeren Toilettenpapierregal. Dort halten sie kurz inne, dann hebt der Zombie seine schweren Arme und holt Namensuchmann aus dem obersten Fach. Niemand hatte ihn in seiner Bewegungslosigkeit bemerkt.

Dienstag, 3. März 2020

Namensuchmann fährt mit der DB

"Nein, sag das nicht", wisperte die Ameise.

"Es ist beschlossen", sagte Namensuchmann, "morgen..."

Ein lauter Knall wie ein Paukenschlag, nur tausendmal stärker, durchdrang die Welt. Sie erschauderte und zitterte wie ein kleines Reh im Angesicht des Mähdreschers. Die kleine Ameise blickte entsetzt in den Himmel, der glutrot und von schwarzen Schlieren durchzogen ebenfalls ruckte und zuckte. Es war ein Zittern und Rucken in der Welt, als ob sie etwas sehr schreckliches gesehen hätte und nun stumm zu schreien versuchte.

"Ihren Fahrschein bitte", sagte der gemütliche Schaffner und wartete geduldig, bis Namensuchmann von seiner Traumwelt heruntergestiegen war. Namensuchmann reichte ihm die kleine bedruckte Pappe. Sie war so hart und dick wie ein Metallplättchen. Da merkte Namensuchmann, dass er noch immer in einem Traum gefangen war. Solche Fahrkarten gab es schon seit vierzig Jahren nicht mehr. Oder waren es fünfzig? War er damals überhaupt schon auf der Welt? In der Pappfahrkartenzeit? Wie alt war er eigentlich genau? Es fühlte sich an, als wäre er schon immer in dieser Welt, als wäre er genau so alt wie die Welt selbst. Uralt.

Der gemütliche Schaffner blieb. Und wartete geduldig. In den sechs Sekunden, die Namensuchmann brauchen wird, um ihm sein Handy mit dem Code hinzuhalten, war noch mehr als genug Zeit um weiterzuträumen.

Namensuchmann erinnerte sich an einen bilderbuchmäßigen, sonnigen Herbstnachmittag unter den Trauerweiden am Fluß. Eine Bank stand in der warmen Nachmittagssonne, darauf lag Namensuchmann und träumte, während Menschen unten am Ufer auf ihren Decken lagen und ab und zu ins Wasser wateten um eine kleine Runde am Ufer entlang zu schwimmen.

Das Nebengleis blitzte wie blankgewienert in der Sonne. Stahl. Unbegreifliche Mengen von Stahl, abgebaut, transportiert, erhitzt, verhüttet, geschmiedet, wieder transportiert und verlegt. Auf Betonschwellen, die wieder abgebaut, transportiert, gemahlen, erhitzt, gebrannt, mit Wasser vermischt, geformt und wieder transportiert und verlegt werden mussten. Doch wozu? Um Fleisch von einem Ort zu einem anderen zu transportieren? Namensuchmann schüttelte sich. Er dachte lieber an den Sand, der bei Notbremsungen vor den Zugrädern auf die Schienen gestreut wird um die Reibung zu erhöhen. Wie groß war der entsprechende Vorratsbehälter? Ließ man den Sand herausrieseln oder wurde er gesprüht? Gepustet? Was befand sich unter den Gleisen? Gab es da noch Wurzeln? Wo waren nun die Menschen, die all das vollbracht hatten vor fünfzig Jahren? Oder hundert?

Noch zwei Sekunden, ein Instant-Traum hat noch Platz. Eine Ameise, von ihrem Stock getrennt, blickt ängstlich in den Himmel. Was war ihr widerfahren? Wo waren die anderen? Was hatte Namensuchmann zu ihr gesagt? Morgen, da wird es geschehen. Noch eine Sekunde.

Eine Sekunde, in der nichts geschieht. Fast, als stünde die Welt still. Der gemütliche Schaffner wartet auf Namensuchmanns Handy, um den Code zu scannen. Doch vorher ruckelt und klemmt die Zeit, verhakt sich, Teile fallen übereinander, blockieren die nachfolgenden. Ein Erstarren und Gefrieren greift knackend und knisternd um sich. 

Die Ameise und Namensuchmann sehen sich an. Fast ist es wie ein Erkennen.