Donnerstag, 28. Februar 2019

Das gute Bier

Das Frühlingslicht gleisst wie losgelassen über den Bahnsteig, eisig-pastellfarben, hellblau-karmesin, die letzte Ameise sterilisierend. Liegt wie ein umgestürzter Grabstein quer, fast unbeweglich. Klebt die Füße fest, ertränkt sie in Beton. Frühlingsluft, frisch und kühl, stürzt in Spalten und Gullies.
In unpersönlichen Straßenbuden, eine wie die andere, werden Sinne angeboten. Lebenssinne. Gründe, um zu leben. Davor lange Kundenschlangen bis auf die Fahrbahnen. Autos und Busse krachen durch Knochen und Fleisch.
Ein seltsamer Anblick, und eine seltsame Geräuschkulisse. Namensuchmann lehnt sich etwas weiter über die Brüstung um besser sehen zu können, dabei fällt ihm die halbvolle Bierflasche vom Handlauf, auf dem er sie abgestellt hatte. Unten knallt sie auf einen Gully und ist fast augenblicklich verschwunden, nur eine kleine Gischtwolke aus Bierdunst sorgt noch kurz für einen kleinen Regenbogen. Einen kleinen Bierbogen.
Und über allem ein dumpfer Brummton wie von einem altertümlichen Steam Punk Transformator. Schwerer, massiver Eisenkern, mit eigener Schwerkraft. Namensuchmann vergießt eine kleine, einsame Träne. Schade um das gute Bier.

Montag, 4. Februar 2019

Namensuchmann liest sein Lieblingsbuch

Federico. Im Hauptberuf Pater der katholischen Kirche, nebenbei Raumschiffkapitän auf der Jagd nach einem kleinen Mädchen, das den Untergang einer korrupten, zu einer brutalen Verbrecherorganisation degenerierten Kirche bedeuten könnte. Hässliche, warzige Raumschiffe, die Kojen als leicht zu reinigende stählerne Wannen ausgebildet, weil den mörderischen Beschleunigungen kein lebender Organismus gewachsen ist. Die Besatzungen sind kurz nach dem Start tot, zu Brei zerquetscht. Glücklicherweise verfügt die Kirche über das heilige Sakrament der Auferstehung, drei Tage nach der Ankunft ist man wieder fit. Meistens. *

Federico. Italien. Rom. Pinien. Pinien zwischen alten Tempeln. Hohe Stämme, fächerförmige, ausladende Kronen. Warmes, mildes Licht auf uralten Ruinen. Blaue Himmel. Gnädige Tode altersschwacher Tage. Endlich ist die gleissende Helligkeit des Tages überstanden, Namensuchmann entsteigt seinem zehn Meter tiefen Bunker. Uraltes Eisen ächzt, schreit fast, oder jammert, klagt, würgt am Schmerz seiner Geburt vor Milliarden von Jahren in lodernden Sternexplosionen.

Das falsche Licht ist vergangen. Falsch in seiner strahlenden Reinheit, seiner erstickenden Vollkommenheit, seiner lichten Verheißung. Namensuchmann wirft seine Motorsäge an, drückt den Gasgriff wieder und wieder, in wachsender Ekstase. In der sich manifestierenden Lärmblase verschwimmen die letzten Konturen des Tages, Abendrot wird zu Nacht, Wärme zu fröstelndem Klirren.
Der Tiber! Darüber Kolosskalmar und Pottwal. Pottwal schnappt, Kolosskalmar fängelt mit seinen Armen. Namensuchmann zweifelt an seiner Entscheidung, ausgerechnet die beiden Erzfeinde als Gewichte für seine Balancierstange ausgesucht zu haben. Wie sollte er so jemals den Abgrund zwischen der Erde  und Epsilon Eridani überwinden? Und wie sollte er gleichzeitig die Balancierstange und die Motorsäge halten?

Im Wasser des Flusses kommt die Säge blubbernd zum Stehen. Namensuchmann lässt sie los, sofort entschwindet sie in morastige Tiefen. Der Dezember der Dinge. Der Januar der Fragen. 
"Möchtest Du den Platz tauschen, lieber Kolosskalmar? Schweb´ doch mal rüber und sag mir Bescheid, damit ich planen kann."

Namensuchmanns Tage in Rom. Und er kann fast gehen. Er erinnert sich an eine Zeit vor den Tagen.
Fischworte. Löwenworte. Wurmworte. Mit Wurmworten gesprochen: oben trommeln die Regentropfen, es treibt einen hinauf. Hinauf!
Das Leben auf einer schrägen Ebene, man bekommt´s im Rücken, spätestens irgendwann, denn Zeit ist immer. Wenn nicht früher. Aus den Lautsprechern ein Schlager aus einer vergangenen Zeit, er juckt im Gehirn, nahe der Stelle, wo der Hörnerv durch die hohle Gasse dringt, in die Region hinein, wo die Zukunftsängste  produziert und wieder verarbeitet werden. Wie Polarlichter mäandern sie über die steinigen Wüsten der Zuversicht, sieht im Zeitraffer sehr beeindruckend aus.

"Aaaargh", würgende Laute aus einer vertrockneten Kehle. Namensuchmann dreht den Hahn auf, ganz auf, bis zum Anschlag, das Bier strömt wie entfesselt durch den dreckigen Stall, schwemmt die Tierleichen ins Freie. Augias hätte seine wahre Freude an dem schäumenden Schauspiel. Namensuchmann  gegenüber, auf dem steinernen Futtertrog, hat sich ein fremder Mann in Sicherheit gebracht, starrt mit ungläubigen Augen in die schäumende Flut. Namensuchmann entsichert seinen Colt und legt an. Peng... der Mann greift sich mit weitaufgerissenen Augen an die Brust. Langsam kippt er vornüber, er scheint noch immer nicht begriffen zu haben, was geschehen ist. Platsch.... er verschwindet im Bier und geht unter. Namensuchmann ist wieder alleine auf der Welt.

*: Dan Simmons, Hyperion