Dienstag, 19. Juni 2012

Die 25 Winde



Der junge Sprachforscher ist entzückt, die Insulaner kennen 25 verschiedene Wörter für Wind.

"Da muss ich hin", denkt sich Namensuchmann, klappt das Nachrichtenmagazin für einen Augenblick zu und beschließt vor Begeisterung einen Extraherzschlag einzulegen, vielleicht in der nächsten Stunde oder der übernächsten. Vielleicht auch erst morgen früh, noch vor dem ersten Licht, wenn man bangend im Bett liegt und weiß, jeden Moment fängt der erste Vogel an zu singen, gleich geht´s los, noch ist es friedvoll und ruhig, todesruhig, schlafruhig. Hat noch ein Extraherzschlag platz? Reicht es noch? Sag an, Herz, wollen wir es wagen? Einen Schlag, so zwischendurch, ausser der Reihe, nur einen, damit es nicht zuviele werden am Ende und eine vorwitzige Meise dazwischenträllert. Bum-Bummm. Ja, so ist es gut, ein schöner Herzschlag, der Aufregung würdig, Namensuchmann fühlt sich erlöst, hat den Absonderlichkeiten dieser Welt und den 25 Winden der Südsee seinen Tribut entrichtet an diesem dunklen Montagmorgen, als weit entfernt der erste Vogelruf ertönt und wie eine Axt eindringt in die Gegenwart und die Nacht zu einem Floß macht das unaufhaltsam in die Strömung driftet. Gut ist es, wenn da niemand steht auf diesem Floß und winkt. Es muss leer sein und öde.

Ein Dialekt auf Vanikoro, einer kleinen Insel des Salomonen-Archipels, wird nur noch von einem einzigen alten Mann gesprochen. Der Sprachforscher zeichnet seine Erzählungen auf, genauso wie er die Erzählungen der Mutter des Alten vor einigen Jahren aufgezeichnet hat. Sie ist im Alter von 104 Jahren gestorben, auf dieser Insel, wo die Palmen sich über weisse Sandstrände beugen und die Wellen draußen über die Riffe branden unter einem stahlblauen Himmel der einem die Seele aus dem Rückgrat zu ziehen droht wenn man zu lange verweilt an ein und derselben Stelle.

"Aber vielleicht", denkt sich Namensuchmann, "vielleicht bilde ich mir das alles nur ein und man kann dort unter diesem Himmel stehen für Stunden oder sogar Tage, ohne dass einem die Seele aus dem Körper gesogen wird. Vielleicht dringen die blauen Wirbel nur oberflächlich in den Körper ein sodass es vollauf genügt, sich nur ein Ohr abzuschneiden."

"Wie kommt es, dass Ihr für dieselben Dinge andere Wörter habt als die Menschen im Nachbardorf?", will der junge Sprachforscher von dem alten Mann wissen. 

"Manchmal ist es gut, wenn die nicht verstehen, was man spricht", meint der alte Mann. 

"Na toll." Ein tiefer Seufzer der Enttäuschung entringt sich Namensuchmanns Kehle. "25 Wörter für Wind, aber Heimlichtuerei, Misstrauen und Kirchtumbräsigkeit. Ein Paradies in der Südsee, aber Sprache als Instrument der Ausgrenzung und Intrige."

Namensuchmann übergibt sich in den schwarzen Baueimer, der für solche Gelegenheiten neben dem Bett steht. Es ist eine Meise, die draußen den Morgen herbeiträllert. Und mittlerweile hat auch eine Amsel mit eingestimmt. Das Floß ist fast schon ausser Sicht, von Helligkeit verdeckt. Etwas bewegt sich darauf, wars ein Winken, oder nur der Wind?


Montag, 18. Juni 2012

Die gute Tat


Meine gute Tat heute war die Rettung eines Silberfischchens aus der Dusche. Niemandem sollte zugemutet werden, von tosenden Wassermassen in einen gurgelnden dunklen Schlund gespült zu werden. Und was du nicht willst das man dir antut, das tue keinem anderen an. Ich ließ es also in eine leere Klopapierpapprolle klettern und legte diese dann auf den Aussensims des Badezimmerfensters.
Dafür dann beim Joggen im Wald eine Stechmücke totgeschlagen. Nicht reflexhaft, nein, geplant und wohlüberlegt. Ich sah das Vieh auf meinem Unterarm, wie es gerade dabei war, seinen Rüssel in meine Haut zu stechen. Ich hob den Arm etwas an, um einen besseren Schlagwinkel zu bekommen und schlug mit der anderen Hand gemessen und wohlgezielt zu. Aber nicht allzu fest. Denn wenn der Rüssel erst einmal in der Haut steckt können diese Plagegeister nicht mehr so schnell durchstarten. Das Ding muss ja erstmal wieder herausgezogen werden, ähnlich wie beim Sex. Da läuft man ja auch ständig Gefahr, totgeschlagen zu werden weil man nicht rechtzeitig zur Seite springen oder Verteidigungshaltung einnehmen kann. Nach dem Schlag wischte ich mit der Hand ein wenig zur Seite, um die Stechmücke zu Matsch zu zerreiben, falls sie den Schlag überlebt haben sollte. Übrig blieb ein schwarzer Schmierklumpen. Es fühlte sich gut an. Eine wohlige Erfahrung. Und völlig ohne schlechtes Gewissen; was ja schon mal ein guter Anfang ist auf dem Weg zur Buddhawerdung. Nur mit dem dicken Bauch werde ich noch meine Schwierigkeiten haben, dafür klettere ich einfach zu gerne auf Bäume und renne zu oft durch Wälder und apokalyptische Traumlandschaften, die fast schon wieder arkadisch anmuten in ihrem pittoresken Verfall.



Dienstag, 12. Juni 2012

Astronomische Ereignisse, die es nicht in die Medien schaffen



Heute: Solarer Arschtransit


















Der nächste von Mitteleuropa aus zu beobachtende Arschtransit findet leider erst wieder in siebzehn Quadrillionen Jahren statt. Ein lunarer Arschtransit ist allerdings schon nächsten Monat zu beobachten, d.h. Arsch wird dann zwischen Erde und Mond hindurchwandern. Die Sichtbarkeit beschränkt sich allerdings auf die Kurilen, Ozeanien und die Westküste Südamerikas.





Dienstag, 5. Juni 2012

Schockstarre



Manchmal liest oder hört man etwas und ist anschließend dann tagelang, wochenlang, gelähmt, geschockt, desillusioniert, euphorisiert oder einfach total irre. An schreiben oder zeichnen ist nicht zu denken. Wozu auch, wenn es solche Wunder schon gibt?

William Butler Yeats

 „Hätt ich des Himmels bestickte Kleider,
Durchwirkt mit goldnem und silbernem Licht,
Die blauen, matten und dunklen Kleider,
Der Nacht, des Tages und des halben Lichts,
Ich legte sie zu deinen Füßen aus:
Doch ich bin arm, hab nur meine Träume,
Die lege ich zu deinen Füßen aus,
Tritt sanft, du trittst auf meine Träume.“

Dabei wurde ich völlig unvorbereitet getroffen, aus heiterem Himmel sozusagen, ohne Vorwarnung. Ich schaute im TV den Film "Equilibrium", als das Gedicht zitiert wurde, allerdings leicht abgewandelt, aber nicht weniger mächtig:

„Doch weil ich arm bin,
habe ich nur meine Träume.
Die Träume breite ich aus vor deinen Füßen.
Tritt leicht darauf,
Du trittst auf meine Träume.“

Queequeg warf seine Knöchelchen und erstarrte.