Montag, 28. Juni 2010

Abgebaut



Heute morgen war das komplette Netz samt Spinnentier verschwunden. Restlos. Als wäre es nie dagewesen.

Ein Fressfeind, der sich das winzige Spinnentier in seinen hohlen Zahn gestopft hat, kann es wohl kaum gewesen sein, der hätte zumindest das Netz zurückgelassen. Vermutlich.
Als einzige Erklärung erscheint mir ein geplanter Umzug. Eigentlich beneidenswert. Man frisst einfach alles auf, was einem gehört, und ab geht die Post, zu neuen Ufern. Unbeschwert, ohne Möbelwagen.

Viel Glück!


Sonntag, 27. Juni 2010

Liveticker



An dem Tisch, auf dem mein Computer steht, ist eine von diesen zweiarmigen Metallschreibtischlampen angebracht. Sie steht meistens in derselben Stellung: der untere Arm fast senkrecht, der obere fast waagrecht. Es gibt selten einen Anlass, ihre Stellung zu verändern.

Und das ist auch gut so.

Denn als ich mich eben hier an den Tisch setzte, den Computer hochfuhr, bemerkte ich ein winziges Spinnentier, das sich etwa von der Mitte des waagrechten Lampenarmes abseilte. Ich wollte schon zugreifen und den Gast höflich aber bestimmt nach draußen bringen, als ich gerade noch rechtzeitig bemerkte, dass er schon sehr fleissig gewesen war. In dem Dreieck zwischen den beiden Lampenarmen befand sich bereits eine Konstruktion perfekter radialer Stützfäden. Sie sind so dünn, dass ich sie nur dann sehen kann, wenn ich meinen Kopf bewege und so aus verschiedenen Blickwinkeln verschiedene Lichteinfälle ausnutze.

Mittlerweile hat die Anbringung der Fangfäden begonnen.

Emsig mit den Beinchen arbeitend bewegt sich Spinnentier spiralig vom Zentrum nach aussen, bei jeder Radialstrebe kurz innehaltend, um den Faden daran festzukleben. Zu meinem Erstaunen erkenne ich, dass es auch Streben zu beachten gibt, die ich bei aller Mühe und allem Kopfwenden nicht erkennen kann. Sie sind zu filigran. Vermutlich würde ein menschliches Haar daneben wie ein Baumstamm erscheinen.

Einem sehr eng geknüpften, etwa münzgroßen inneren Bereich folgt eine starke Aufweitung des Spiralmusters nach aussen hin. Am Rand nun wird wieder sehr eng gearbeitet, dabei wieder nach innen wandernd.

Der Hinterleib von Spinnentier ist kleiner als ein Stecknadelkopf. Wieviel Spinnenseide mag darin Platz haben, wieviele Netze mögen damit gebaut werden können? Es könnte einem Todesurteil gleichkommen, wenn Spinnentier draußen ein weiteres Netz bauen müsste.

Mittlerweile, während ich diesen Text schrieb, ist das Werk schon vollendet. Innen- und Aussenbereich wurden nahtlos verbunden. Im Zentrum der Radialfäden befand sich erst ein winziges weisses Flöckchen, das wurde nun theatralisch und beinchenwedelnd verspeist. Ein wohlverdientes Belohnungsmahl nach getaner Arbeit.

Spinnentier sitzt nun im Zentrum seines Werks, winzig, aber hochkonzentriert. Ich bin mir nur nicht sicher, ob der Platz allzu optimal gewählt wurde. Der Flugverkehr über meinem Schreibtisch lässt nämlich etwas zu wünschen übrig. Die Zuversicht, die von dem kleinen Tier ausgeht, ist jedoch beeindruckend.

Na ja, vermutlich werde ich etwas nachhelfen müssen. Vielleicht findet sich die eine oder andere (Stech)mücke, die ich in das Netz bugsieren kann. Wenn sich Spinnentier dann etwas gestärkt hat, fliegt es raus!



Donnerstag, 24. Juni 2010

Schattenspiel



Das Wetter ist klar und weit. Blauer Himmel, der auf Wasser trifft. Namensuchmann blickt neben sich auf den grauen Waschbetonfußboden der Aussichtsterrasse, darauf Licht- und Schattenflecken, torkelnd und flirrend.
Namensuchmann verliert Substanz. Wie in warmer Dünung schwankende Anemonen schweben Protuberanzen seines Selbst über ihm gen Himmel, fingernd und tastend, mit zunehmender Höhe durchsichtiger werdend, dann ganz verschwindend, in unsichtbarem Höhenwind.
Direkt über Namensuchmann sind die Schlieren aber noch dick und schwarz und lebendig, anmutig fast. Abendsonne steptanzt durch die sich windenden und fließenden Zwischenräume, tuscht patchworkiges Chaos auf den Beton. Doch die gaukelnden Beugungsmuster aus Licht und Schatten wie unter windzerzauster Baumkrone sagen ihm nichts. Kein Laut begleitet den Tanz, kein Blätterdach rauscht und raschelt.
Keine Worte, keine Namen.
Namensuchmann kontrolliert die kleine Videokamera, die akkurat auf ihrem kleinen Stativ montiert die Protuberanzenschatten aufzeichnet

"Ich gesellte mich zu den Lebenden, doch sie schöpften keinen Verdacht"

Namensuchmann erschrak. Er hatte den Fremden nicht kommen gehört, so sehr war er mit der Kamera beschäftigt gewesen. Er wendete den Kopf und blinzelte nur ganz kurz, weil der Fremde genau vor der Sonne stand. Doch es genügte. Als er die Augen wieder öffnete, war es tiefe Nacht und der Vollmond stand tief im Süden. Bleich und seltsam bedeutungsschwer wegen seiner ungewöhnlich tiefen Stellung. Aber das war nichts wirklich Bedrohliches um diese Jahreszeit, überlegte Namensuchmann unwillkürlich. Denn je höher die Sonne tagsüber am Himmel steht, desto niedriger ist die größte Vollmondhöhe um Mitternacht.
Der Fremde stand immer noch an derselben Stelle, aber nur schwach erkennbar in der Dunkelheit der Nacht. Das Mondlicht genügte gerade noch, um seine mittelgroße Statur zu enthüllen, mit einem Anschein von lockigem Haar um das dunkle Gesicht.

Die schwarzen Protuberanzen waren vor dem nun fast schwarzen Himmel nicht mehr zu erkennen. Namensuchmann versuchte zu erspüren, ob er immer noch Substanz verlor, aber so sehr er sich auch konzentrierte, er vermochte es nicht zu sagen. Er suchte nach Sternen, deren unregelmäßiges Verlöschen und Aufleuchten auf den Durchgang eines mäandernden Protuberanzenastes hindeuten könnte, doch ohne Erfolg. Die Sterne waren zu schwach und kaum zu sehen, sie wurden überstrahlt vom warmen Vollmondlicht, das aber offensichtlich nicht genügte, um Reflexe oder einen Widerschein auf einer Protuberanz hervorzurufen.

"Die Lebenden sind gefährlich", sagte Namensuchmann abwesend, während er weiter nach oben blickte.

"Nicht, wenn man sie in Ruhe lässt und sie einen nicht bemerken", meinte der Fremde.

"Wieso ist es plötzlich Nacht?", wollte Namensuchmann wissen.

Der Fremde schien die Frage nicht gehört zu haben. Er blickte auf eine Stelle am Himmel, die direkt über Namensuchmann zu liegen schien.

"Sie verlieren Substanz", sagte er.

"Ja, ich weiß. Aber ich glaube, der Materieverlust ist nicht so gravierend wie es aussieht". Namensuchmann versuchte, überzeugend zu klingen und blickte erneut nach oben. Er konnte keine Protuberanzen erkennen. Entweder hatte der Fremde geheimnisvolle Nachtsichtfähigkeiten, oder er verfügte über einen besonderen Sinn, oder er log. Oder er phantasierte. Oder er war nicht real.

"Was wollen Sie von den Lebenden?", fragte Namensuchmann, während er seine Kamera vom Stativ nahm und auf dem Display die Aufnahme kontrollierte, die er bis vor wenigen Augenblicken bei hellem Tageslicht aufgezeichnet hatte. Jetzt, im dunklen Schimmer dieser sonderbaren Vollmondnacht, verlieh das Leuchten des kleinen Monitors seinem Gesicht einen fahlen bläulichen Schein. Die Aufnahme war brauchbar. Später würde er sie sich in Ruhe rückwärts ansehen.

"Die Menschen riechen so gut. Leider nicht alle, nur einige wenige. Die muss man suchen."

"Ich suche auch etwas. Einen Namen"

"Ich weiß"

"Woher?"

"Du bist Namensuchmann"



Sonntag, 13. Juni 2010

Samstag, 12. Juni 2010

Freitag, 11. Juni 2010

Donnerstag, 10. Juni 2010

Es herbschtelt





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Meine Lieblingsjoggingstrecke....

...hat leider einen Haken:





Zwischen Kilometer 5,5 und 6,5 hat sich ein Schwarm Düsenkondome niedergelassen. Es empfiehlt sich, auf diesem Streckenabschnitt nicht zu schnell zu laufen und jede hektische Bewegung zu unterlassen, da sie dadurch bloß noch mehr gereizt werden.


Samstag, 5. Juni 2010

Freitag, 4. Juni 2010

Die Pillen der Weisheit



Das Schwein schrie und grunzte wie von Sinnen. Ob aus Panik oder aus Wut wusste Namensuchmann nicht zu sagen. Mit der linken Hinterpfote und spastischen Zuckungen zermalmte es Paris mitsamt Eiffelturm und Sacre Coeur, mit seiner Steckdosenschnauze wühlte es im Oberrheingraben, sein Rücken wölbte sich wie die Überreste eines kleinen Mondes in den Weltraum. Von Nordwesten näherte sich die Internationale Weltraumstation wie ein losgelassener Stern und krachte in die linke Flanke des Schweins. Funken stoben, und eine Trümmerwolke breitete sich glitzernd wie Neuschnee über dem Schwein aus. Vor Schmerz und Überraschung riss es seinen Kopf in die Höhe und versuchte, den Angreifer zu erkennen. Reste von Breisach am Rhein troffen und fielen ihm aus dem Maul, als es sich verwirrt umsah.

Wie eine pulsierende Schockwelle lief eine neue Wachstumsphase durch den Bauch des Schweins, blähte es zu immer monströseren Ausmaßen. Aus den Fußstapfen quollen dünne Lavafäden und verbrannten die Pfoten des Schweins. Es begann, nach Braten zu duften.
Zwischen den Klauen klebte bereits eine rohe Masse aus Zollbeamten und Veterinären, welche das Schwein am Grenzübertritt hindern wollten, da es nicht in der Lage oder willens zu sein schien, die notwendigen Impfpapiere vorzulegen.
Ein inneres Rumoren und gedämpfte, ferne Explosionen waren nun aus dem Hintern des Schweins zu hören. Es schrie erneut markerschütternd, als eine infernalische, grünlich-gelbe Gaswolke sich Austritt verschaffte und der entstandene Rückstoß das Schwein völlig von der Erdoberfläche löste und in den Weltraum schleuderte. Langsam driftete es davon, mit großen, herausgeploppten Schweinsaugen und konvulsivisch nach nicht vorhandener Luft schnappend. Nur knapp verfehlte es dabei den Mond. Die Schreie und Grunzer waren nun durch den luftleeren Weltraum nicht mehr zu hören. Von der Sonne angestrahlt, leuchtete es blaßrosa auf die verwüstete Erde herab.
Namensuchmann betrachtete die kleine Dose in seiner Hand.
Er fand, es war eine gute Idee gewesen, die allumfassenden Weisheitspillen zuerst an dem Schwein auszuprobieren.



Mittwoch, 2. Juni 2010