Sonntag, 27. Juni 2010

Liveticker



An dem Tisch, auf dem mein Computer steht, ist eine von diesen zweiarmigen Metallschreibtischlampen angebracht. Sie steht meistens in derselben Stellung: der untere Arm fast senkrecht, der obere fast waagrecht. Es gibt selten einen Anlass, ihre Stellung zu verändern.

Und das ist auch gut so.

Denn als ich mich eben hier an den Tisch setzte, den Computer hochfuhr, bemerkte ich ein winziges Spinnentier, das sich etwa von der Mitte des waagrechten Lampenarmes abseilte. Ich wollte schon zugreifen und den Gast höflich aber bestimmt nach draußen bringen, als ich gerade noch rechtzeitig bemerkte, dass er schon sehr fleissig gewesen war. In dem Dreieck zwischen den beiden Lampenarmen befand sich bereits eine Konstruktion perfekter radialer Stützfäden. Sie sind so dünn, dass ich sie nur dann sehen kann, wenn ich meinen Kopf bewege und so aus verschiedenen Blickwinkeln verschiedene Lichteinfälle ausnutze.

Mittlerweile hat die Anbringung der Fangfäden begonnen.

Emsig mit den Beinchen arbeitend bewegt sich Spinnentier spiralig vom Zentrum nach aussen, bei jeder Radialstrebe kurz innehaltend, um den Faden daran festzukleben. Zu meinem Erstaunen erkenne ich, dass es auch Streben zu beachten gibt, die ich bei aller Mühe und allem Kopfwenden nicht erkennen kann. Sie sind zu filigran. Vermutlich würde ein menschliches Haar daneben wie ein Baumstamm erscheinen.

Einem sehr eng geknüpften, etwa münzgroßen inneren Bereich folgt eine starke Aufweitung des Spiralmusters nach aussen hin. Am Rand nun wird wieder sehr eng gearbeitet, dabei wieder nach innen wandernd.

Der Hinterleib von Spinnentier ist kleiner als ein Stecknadelkopf. Wieviel Spinnenseide mag darin Platz haben, wieviele Netze mögen damit gebaut werden können? Es könnte einem Todesurteil gleichkommen, wenn Spinnentier draußen ein weiteres Netz bauen müsste.

Mittlerweile, während ich diesen Text schrieb, ist das Werk schon vollendet. Innen- und Aussenbereich wurden nahtlos verbunden. Im Zentrum der Radialfäden befand sich erst ein winziges weisses Flöckchen, das wurde nun theatralisch und beinchenwedelnd verspeist. Ein wohlverdientes Belohnungsmahl nach getaner Arbeit.

Spinnentier sitzt nun im Zentrum seines Werks, winzig, aber hochkonzentriert. Ich bin mir nur nicht sicher, ob der Platz allzu optimal gewählt wurde. Der Flugverkehr über meinem Schreibtisch lässt nämlich etwas zu wünschen übrig. Die Zuversicht, die von dem kleinen Tier ausgeht, ist jedoch beeindruckend.

Na ja, vermutlich werde ich etwas nachhelfen müssen. Vielleicht findet sich die eine oder andere (Stech)mücke, die ich in das Netz bugsieren kann. Wenn sich Spinnentier dann etwas gestärkt hat, fliegt es raus!



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