Montag, 31. Oktober 2011

Feiertag!


Die Blase drückt, Namensuchmann springt vom Stuhl auf. Das Frühstück ist zwar noch nicht beendet, doch immerhin das warme weichgekochte Ei ist bereits verspeist. Der Rest kann warten. Mit voller Blase isst es sich nicht sonderlich entspannt.

Ein Sprung, und die Treppe ist erreicht. Ein Blick zur Haustüre, sie steht einen Spalt offen. Namensuchmann hatte sie absichtlich nicht ganz geschlossen, als er morgens die Zeitung aus dem Schuber geholt hatte. Ein wenig frische Luft würde dem Flur gut tun. Doch jetzt war da dieser offene Spalt nach draußen, und Namensuchmann fast noch in der Luft, ehe er auf der untersten Stufe der Treppe landen würde, die nach oben zum Badezimmer führt. Ein Sprung durch den Flur, eine offene Haustüre, eine volle Blase, und der gedeckte Frühstückstisch in der Küche mit der aufgebrochenen Schale des verspeisten Ei darauf. Namensuchmann war kurz verwirrt. Eine alltägliche Situation, oberflächlich betrachtet. Doch aus irgendeinem Grund versuchte sein Gehirn, diese Szenerie neu zu ordnen, in neue Zusammenhänge zu bringen. Eine Musterumstellung, fuhr es Namensuchman durch den Kopf, eine Neuordnung seiner Synapsen. Aus heiterem Himmel. Doch warum ausgerechnet jetzt, während dieses Sprungs auf die unterste Treppenstufe an diesem nebligen Montagmorgen?
Kurz vor der Landung riss die Realität dann tatsächlich für einen kurzen Moment auseinander. Der Türspalt wurde für einen Sekundenbruchteil zu einem waagrechten Mund aus Licht und Nebel. Die ballistische Flugbahn von Namensuchmanns Körperschwerpunkt dehnte sich zu unphysikalischen, fast traumhaften Weiten, seltsame Querverbindungen und Verstrebungen seiner Realitätsbezüge offenbarten sich wie von einem Gewitterblitz erhellt. Die Wirklichkeit, sonst eine hellgraue, heterogene Masse ohne eindeutiges Aroma oder gar Geruch wurde durchbrochen von Flugbahnvektoren und Lichtemissionen aus schwankenden, linearen Öffnungen und Durchgängen. Durch das Chaos drang die Erinnerung an einen bestimmten Duft in Namensuchmanns Bewusstsein. Er wusste jedoch nicht, war diese Erinnerung Auslöser oder nur Produkt dieser unerwarteten morgendlichen Denkattacke. Bis sein rechter Fuß die unterste Treppenstufe berühren würde, hatte er noch etwas Zeit. Wobei die Vektoren seiner Bewegung gefährlich in Richtung der zweiten Stufe zielten. Das wäre eigentlich kein Problem, er hatte schon oft die unterste Stufe ausgelassen, wenn er nach oben ins Badezimmer gestürmt war. Doch nun befanden sich in seinem Hirn Synapsen, die voll und ganz damit beschäftigt waren, sein rechtes Bein so zu koordinieren, dass sein Fuß auf die unterste Stufe treffen würde. Bei Gelegenheit würde er sich jedoch darum kümmern. Noch war genug Zeit, sich über das Skalarfeld der Liebe Gedanken zu machen. Namensuchmann erinnerte sich, dass man sich den Unterschied zwischen einem Skalarfeld und einem Vektorfeld am besten mit Hilfe einer Wetterkarte verdeutlichen kann. Die Temperaturverteilung bildet hierbei ein skalares Feld. Jedem Punkt auf der Karte ist genau ein Temperaturwert zugeordnet. Mehr braucht es nicht. Anders sieht es jedoch bei der Angabe der Windverhältnisse aus. Es genügt nicht, jedem Punkt auf der Karte einen bestimmten Wert für die Windgeschwindigkeit zuzuordnen. Denn man braucht zu jeder Windstärkenangabe immer auch die Richtung, aus der der Wind weht. Also zwei Angaben. Die Windverteilung bildet somit ein Vektorfeld. Stärke und Richtung. Wie Namensuchmanns Flugproblem, während er sich der Treppe näherte. Die Bedeutung der offenstehenden Haustüre war ihm allerdings unklar, auch wenn sich die schmale Öffnung noch mehrmals drehen sollte. Graue, homogene Realitätsmasse. Die Liebe ein Skalarfeld, ohne Richtung, doch mit einer Intensitätsverteilung wie ein Hochgebirgsplateau, das von zurückweichenden Gletschern freigegeben wurde. Die zweite Treppenstufe. Namensuchmann bereitete sich darauf vor.

Sonntag, 30. Oktober 2011

Per aspera ad astra


Manchmal wird man ja plötzlich emotional emporgerissen und weiß erst gar nicht, was denn nun los ist. Da schwebt man dann drei Kilometer über der Landschaft mit ihrem Patchworkmuster aus abgeernteten Feldern und den kleinen miefigen Käffern dazwischen. Falls es zufällig abends oder gar nachts passiert, kann man natürlich bei der Gelegenheit gleich noch nach Planeten gucken. Dieses Jahr waren ja leider keine zu sehen, ausser in der zweiten Nachthälfte oder gar nur frühmorgens, wenn rechtschaffen müde Krieger schlafen und sich von ihren Engeln in ihre Träume quasseln lassen. Na ja, und Saturn natürlich, der war schon zugegen auch abends und in der ersten Nachthälfte. Aber leider ist er relativ unscheinbar und von einem Stern nur dann zu unterscheiden, wenn man raufguckt und sich denkt: "Hm...was ist denn das...der gehört da doch gar nicht hin, das muss Saturn sein".
Und dann wäre da ja noch Jupiter. Der ging bisher nur leider erst so spät auf, dass er erst nach Mitternacht gut gesehen werden konnte; dann allerdings war er sehr eindrucksvoll. Am 29. Oktober aber, und nun sehe ich, dass das schon gestern war, stand Jupiter in Opposition zur Sonne, was bedeutet, dass er im Osten aufgeht, wenn die Sonne im Westen untergeht. Zwei oder drei Stunden danach ist er dann schon gut im Osten zu sehen. Sein Aufgang wird sich weiter verfrühen, bis er in einigen Wochen bei Einbruch der Nacht schon hoch am Himmel stehen wird. Dann wird der Abendhimmel endlich wieder verplanetet sein und man kann im Dunkeln joggen, ohne Gefahr zu laufen, von den Sternen aufgeschlürft zu werden.
Das wahre Highlight kommt jedoch mit Ende des Monats über uns: Venus schickt sich wieder mal an, Abendstern zu werden. Um den 31. Oktober herum müsste es bei ausgezeichneten Sichtbedingungen und freiem Horizont möglich sein, sie erstmals wieder kurz nach Sonnenuntergang über dem südwestlichen Horizont zu entdecken. Dann wird sie fast täglich bei Einbruch der Nacht etwas höher am Himmel stehen, bis sie kommendes Frühjahr dann strahlender Abendstern sein wird.
Doch noch ist sie selbst aus mehreren Kilometern Höhe nicht zu sehen. Es wird kühl hier hoben, und drunten schiebt sich Nebel über eine dicke Decke bleierner Stille. Ich überlege, wie lange der Auftrieb wohl noch anhalten wird und suche nach optischen Anhaltspunkten für ein Steigen oder Sinken, doch es fehlt jeglicher Bezugspunkt. Ich denke nochmals an den Menschen, an den ich vorhin gedacht habe und merke nun am plötzlich auftretenden Wind, dass ich enorm an Höhe gewinne. Die Luft wird dünn hier oben, und es ist fast schon eisig, ich spüre die ersten winzigen Eiskristalle in meiner Nase. Ich darf nicht mehr denken. Am besten schlafe ich eine Runde. Traumbeschwert werde ich dann langsam nach unten sinken. Ich hoffe nur, ich lande nicht schlafend auf einer vielbefahrenen Straße oder gar dem See. Die Arme leicht ausgestreckt, die Beine etwas gebeugt mache ich die Augen zu. Drunten die Prozessionen leuchten wie glimmende Lindwürmer, Dreschflegel und Sensen wie verdorrte Wälder.


Donnerstag, 27. Oktober 2011

Berlin Calling


In 800 Millionen Jahren wird die Sonne ihre Leuchtkraft soweit erhöht haben, dass höheres Leben auf der Erde nicht mehr möglich sein wird. Nach weiteren 4 Milliarden Jahren wird die Sonne sich soweit vergrößert haben, dass sie die Erde verschlucken wird. Doch zuvor wird alles Wasser, alle Luft und alles, was einmal gelebt hat, verdampft und in den Weltraum entwichen sein.


Ich höre mir zwei Lieder auf Youtube an. Lied 1

Ihre Schwingungen pflanzen sich in der Atmosphäre fort, laufen einmal um den Globus, zweimal, dreimal...gehen auf im ewigen Gesumm der Welt. Werden sie dereinst auch in den Weltraum geblasen werden mit dem Rest der Atmosphäre? Werden winzige Gasmoleküle und Photonen im schwarzen und gleissenden Vakuum erzählen von einem Planeten, der einmal einen kleinen gelben Stern umkreist hat? Ein Planet, auf dem solche Lieder erdacht wurden? Von einer Spezies, die sich selbst folterte und tötete ohne Unterlass?

Lied 2


Sterne, die über buntschillernden Planeten stehen. Sonnen in gleissenden Gasnebeln. Dazwischen Schwärze und dunkle Energie, die das Universum unweigerlich auseinandertreibt bis es zerreissen wird; oder in ewiger Dunkelheit vergehen. Ein Photon, das von einem Lied zeugt, ein Fragment nur, doch es klingt und tönt ganz leise durch das uralte All.

Und niemand schlafe, niemals!


Dienstag, 25. Oktober 2011

Unterm Licht


Man kann es tun.


Man kann einfach so eine Welt erbauen.
Man kann ein wundes Herz erschaffen und
es im nächsten Moment vergolden.
Man kann die Bläue des Himmels in Quader gießen
und daraus eine Hütte bauen mit Seeblick und
Anlegesteg. Man kann ein Kanu beseelen und
mit einer Laterne ausrüsten weil man erst in der
Dämmerung heimkehren wird.

All das kann man tun.



Sonntag, 23. Oktober 2011

Samstag, 22. Oktober 2011

Tropfenfänger



"Komm, lass uns einkaufen gehen, ich möchte Menschen anlächeln"


Ich blickte vom Bildschirm meines Laptops auf. Mein Engel hatte wieder einmal den Zombie völlig geräuschlos durch die Tür und hinter meinen Stuhl bugsiert. Unter der leeren Augenhöhle des Untoten klemmte ein altertümlicher Tropfenfänger, mit einem dünnen Gummiband am Kopf fixiert. Ich war beeindruckt. Nun erklärte sich der Umstand, warum seit einiger Zeit keine stinkenden Tropfen gelbroten Leichensaftes mehr im Haus zu finden waren. Mein Engel schien eine rudimentäre Form von Verantwortungsgefühl für seine Reitgelegenheit zu entwickeln.
Doch kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, rieb der Engel leicht an den Schläfen des Zombies, worauf dieser sich langsam nach vorne beugte. Im Nacken des Zombies sitzend näherte der Engel sich so dem Bildschirm. Er schien Interesse daran zu haben, was ich da am Computer gerade so trieb. Ich lehnte mich zurück und gewährte ihm großzügig Einblick. Zu sehen war die Eingabemaske des Blogs, an dem ich seit einiger Zeit schrieb. Der Engel beugte sich über den Kopf des Zombies, den er nun mit seinen Armen umschlungen hielt. Flüchtig hatte ich dabei den Eindruck, dass der Engel sich nicht festhalten musste, um nicht abzustürzen, sondern um nicht davonzuschweben.
So nahe wie jetzt waren sich unsere Gesichter schon lange nicht mehr. Während der Engel aufmerksam las, was ich soeben geschrieben hatte, betrachtete ich eingehend sein Profil. Seine Lippen bewegten sich leicht im Rhythmus des Textes, auch wenn er nicht laut las, und ich konnte vereinzelt Worte erkennen, die ich vor ein paar Minuten erst in die Tastatur getippt hatte. Das Profil des Engels war mir seltsam vertraut, und schon so manches Mal glaubte ich eine leichte doch unleugbare Ähnlichkeit mit mir zu erkennen. Allerdings war die leicht durchsichtige Konsistenz des Engels natürlich für so manche optische Täuschung gut. Aber nicht in diesem Augenblick. Das leicht bläuliche Licht des Monitors schien genau die richtige Wellenlänge zu haben, um die Moleküle im Gesicht des Engels in Resonanz bringen. Da ich ihn nur von der Seite betrachtete, ohne selbst vom Monitor geblendet zu werden, konnte ich zum ersten Mal kleine Fältchen unter und neben den Engelsaugen erkennen. Auf den ersten Blick hielt ich sie für Lachfältchen, doch ich schaute genauer hin. Es waren nicht wirkliche Lachfältchen, obwohl sie eine Art gelassene Heiterkeit ausstrahlten. Doch da war noch etwas anderes um diese Augen, die so konzentriert meinen Text lasen. Ja, da war eindeutig auch Traurigkeit. Und Sehnsucht. Ich versuchte, genauer hinzuschauen. Ganz kurz wendete der Engel sein Gesicht vom Bildschirm ab und blickte in meine Richtung, doch was er sah, schien ihn zu beruhigen und er wendete seine Aufmerksamkeit wieder meinem Text zu.
Ich beugte mich eine Winzigkeit vor, um besser sehen zu können. Diesmal wendete der Engel nicht seinen Kopf, sondern ließ nur für einen kurzen Moment seine Augen in meine Richtung huschen. Ich sah nun die stille Heiterkeit in seinen Augen und den Fältchen darum herum, und ich sah die Traurigkeit und die Sehnsucht.
Seltsam, dachte ich bei mir. Ich wusste nicht, ob er schon immer so ausgesehen hatte, oder ob er nur so schnell gealtert war in meiner Gegenwart. Oder es lag ganz einfach daran, dass ich ihn noch nie so nah und bei so günstiger Beleuchtung gesehen hatte.
Jetzt rieb der Engel leicht an den Schläfen des Zombies, der die ganze Zeit völlig still und regungslos in dieser unbequemen Beugehaltung verharrt hatte. Langsam richtete er sich wieder auf, der Engel wurde wieder emporgehoben. Während er Höhe gewann, schaute er mir kurz in die Augen und lächelte.
"Ich möchte jetzt hinausgehen!", rief er plötzlich und deutete durch das Fenster nach draußen. Eben war es noch grau und nebelverhangen gewesen, doch über unserem kleinen Stelldichein war es Winter geworden. Die Landschaft war weiß zugedeckt, und die Sonne funkelte auf Millionen Schneekristallen. Der Zombie wendete sich um und das ungleiche Paar stürmte hinaus. Ich hinterher. Draußen das gleissende Winterlicht war überhaupt nicht kalt.



Donnerstag, 20. Oktober 2011

Heimat



"Nein", sagte Namensuchmann, "Und nochmals nein!"


Der Mensch sah etwas bekümmert drein nun, doch er machte keinerlei Anstalten zu gehen. Im Gegenteil, er kroch sogar näher. Namensuchmann war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob dies wirklich noch die Erde war; die beiden Monde am Himmel irritierten ihn ein wenig. Der Mensch begann zu grunzen. Die Grunzlaute schwebten lange wie unentschlossen über dem kleinen gepflasterten Platz, ehe sie nach unten stürzten und sich zu Worten formen wollten. Doch die Silben und Enden wollten nicht richtig zusammenfinden, es entstanden lediglich groteske Ausdrücke von brutal-archaischer Wucht. Namensuchmann riss sich die Kleidung vom Leib und warf sich in den wimmelnden Wortbrei. Er wälzte sich erst auf die eine Seite, dann auf die andere und verharrte schließlich auf dem Rücken liegend, mit beiden Händen die Wortmutanten auf seinen nackten Bauch schaufelnd. Zwischen seinen Schulterblättern spürte er winzige Stiche, und etwas versuchte, sich zwischen seine Pobacken zu zwängen. Der Mensch hatte aufgehört zu grunzen und stand nun plötzlich am Rande des kleinen Platzes, unschlüssig seine Hände betrachtend.

`Es ist kalt an diesem Ort´, sagte sich Namensuchman während er in seinem Tun innehielt. `Doch die wimmelnden fremdartigen Worte sind warm´ . Er nahm eines davon und biss ein Stück davon ab. Sie waren offensichtlich sogar nahrhaft. Man konnte es hier aushalten, auf dieser Welt. Der Grunzmensch war fort.



Mittwoch, 12. Oktober 2011

Lars von Trier, Idi Amin und ein bißchen Zeit


Melancholia
ist ein sehr schöner Name für einen Planeten. Vorausgesetzt natürlich, man betont das i sehr lang und spricht das o nur ganz kurz aus. Melancholiiiiia! Aus irgendeinem nur schwer erfindlichen Grunde verlängerte ich gedanklich immer das o, obwohl ich das gängige Wort Melancholie durchaus stets auf der letzten Silbe betonte. Ich würde es heute noch so handhaben, wäre der Name nicht im Film mal ausgesprochen worden. So ganz nebenbei, ohne viel Aufhebens. Ich hätte den Moment fast verpasst, weil mir zwischendurch mal schlecht wurde wegen der exzessiv eingesetzten Wackelkamera, die bei Dialogen ohne Schnitt zwischen den Gesichtern hin- und herschwenkte. Eine immer weiter um sich greifende Unart der Regisseure.
Ich machte also während der ersten 20 Minuten meistens die Augen zu und genoss den Film als Hörspiel. Dann war´s wieder gut und ich ließ mich von den Bildern des Films berauschen. Märchenhafte, surrealistische Bilder. Eine nackte Kirsten Dunst. Einmal bar jeder Erotik, als sie es wegen ihrer Depression nicht mal mit Hilfe ihrer Schwester schafft in die Badewanne zu steigen, und einmal zum Anbeißen, als sie nackt ausgestreckt draußen im bläulichen Licht der groß und fett am Himmel stehenden Melancholia an einem Bachufer liegt. Dann irgendwann der Crash, der eigentlich eher eine Vereinigung ist. Kollisionen im All müssen ja nicht immer mit diesen aberwitzig hohen Geschwindigkeiten vonstatten gehen. Wird ein Planet "von hinten" eingeholt, kann sich das Ganze auch sehr langsam vollziehen. Wie in Zeitlupe. Als würde die Erde in den Schoß ihrer Mutter zurückkehren. Als würde ein Irrtum rückgängig gemacht.
Drei Menschen setzen sich auf eine Wiese und halten sich an den Händen: die beiden erwachsenen Schwestern und der etwa 8jährige Sohn von der Schwester ohne Depris, gespielt von Charlotte Gainsbourg, einer Schauspielern mit einer extrem nervigen Mundform. Der ganze Himmel ist eingenommen von dem auf die Erde zustürzenden Planeten, man kann schon Details seiner Oberfläche erkennen. Es wäre irgendwie doch schade um diese Welt, fährt es dem Zuschauer da durch den Kopf. Schade um die schönen Gärten, die schönen Klippen, das Meer und die schöne Kirsten Dunst, deren Mund alles andere als nervig ist.
Draußen dann, auf dem Heimweg, steht hell glänzend Jupiter am Himmel. Was wäre, wenn er jetzt plötzlich heller werden würde? Woher plötzlich einen geliebten Menschen nehmen, mit dem man händchenhaltend sich auf einer Wiese niedersetzen könnte? Was, wenn es Winter wäre oder Spätherbst und die Wiese nur eine nasse Eisplatte? Was, wenn sich Jupiter von der gegenüberliegenden Seite der Erde aus nähern würde und man ihn folglich gar nicht sehen würde auf dieser Seite? Dabei muss es ja nicht mal Jupiter sein, es geht schließlich auch einige Nummern kleiner.

Ich denke an einen Bericht im SPIEGEL, über Idi Amins ehemaligen Leibkoch. Idi Amin, ehemaliger ugandischer Diktator, hat natürlich auch einmal klein angefangen. Als junger Feldwebel hatte er die Aufgabe, ein Waffenlager von Viehdieben auszuheben. Aber die Viehdiebe wollten nicht sagen, wo es sich befindet. Also ließ er ihnen die Klamotten abnehmen und stellte den ersten vor einen Tisch, den Penis auf der Tischplatte. Dann hob Amin ein Buschmesser und fragte nochmal nach den Waffen. Der Mann verriet nichts. Sein Penis blieb auf dem Tisch liegen, er selbst wurde weggeschleppt. Erst der neunte redete schließlich. Scheißspiel. Mal davon abgesehen, dass ich persönlich mein Teil nicht für irgendwelche schrottigen Waffen opfern würde. Aber wieviel tragischer ist es für die ersten acht, wenn der neunte dann redet? Womöglich war der neunte ein sowieso unsympathischer Kotzbrockencousin vom ersten, der an der Reihe war. Was geht dann in dem ersten vor, vorausgesetzt, er hat überlebt? Ich stelle mir diese Situation vor, acht Penisse auf einer blutbesudelten Tischplatte, drumherum feixende Soldaten. Und oben drüber Melancholiiiia, den ganzen Himmel einehmend, man kann schon einzelne Wolken sehen in ihrer Atmosphäre, wie sie sich herabsenkt und es in grenzenloser Güte auf sich nimmt, diesen verkommenen Planeten zu entsorgen. Dann ist es plötzlich gar nicht mehr traurig. Nur noch ein bißchen. Melancholiiia über Massenschweineställen. Über Putenzuchtbarracken. Über einem Kaff in Mali, wo die Beschneiderin sich gerade über das Mädchen beugt. Melancholiiiia über acht einsamen Penissen in Uganda.

Wie fragil diese Planetengeschichte da draußen ist kann man sich nur schwer vorstellen. Natürlich gibt es keinen versteckten Planeten auf der anderen Seite der Sonne. Dessen gravitativen Einfluss hätten die Astronomen längst bemerkt. Aber die Gravitation ist die schwächste bekannte Kraft im Universum, und doch wird alles von ihr zusammengehalten. Ein winziger Schubbser, und alles geriete aus den Fugen. Ein dunkler Stern, der weit draußen unerkannt an der Sonne vorbeizöge, könnte ausreichen, um das ganze Planetensystem durcheinanderzuwirbeln. Mars auf Erde. Marserde in die Sonne. Jupiter schluckt Merkur. Zeit die vergeht. In der Atacamawüste in Südamerika kann man die Zeit anfassen. Man kann die Hand darauf legen. Über sie hinwegstreichen. Da liegen große Felsbrocken, viele davon mit einer vollkommen plan geschliffenen Seite. Die Geologen konnten nicht erklären, was für ein Mechanismus dafür verantwortlich gewesen sein könnte. Der Zufall kam ihnen schließlich zu Hilfe. Ein Geologenteam machte Rast inmitten dieser Wüstenfläche, die von Horizont zu Horizont reicht und übersät ist mit Steinbrocken in allen Größen. Dann gab es ein Erdbeben. Lagen zwei Brocken dicht beieinander, wurden sie durch das Beben aneinandergeschuckert. Nun dauert so ein Erdbeben ja nicht allzulange, und allzu oft kommt es auch nicht vor. Doch wenn man Millionen und Abermillionen Jahre Zeit hat, dann reicht dieses unregelmäßige Bebengeschuckere aus, um rauhe, unebene Steine völlig plan zu schleifen. Ob die Hand irgendwie schimmert, wenn man sie auf so eine glattpolierte Stelle legt? Oder gibt es kleine Funken aus Zeit, die überschlagen vor der eigentlichen Berührung? Sich hinsetzen, sich an so einen Stein lehnen und Zeit werden. Nach oben schauen und Melancholiiiia bewundern. An einen geliebten Menschen denken. Und an acht einsame Penisse auf einem Tisch.



Montag, 10. Oktober 2011

Montag

Ich würde gerne Worte finden und sie
zu floralen Mustern anordnen oder in
die Formen weiblicher Körper zaubern.
In das Chaos greifen und Spuren weben
mit den eigenen Händen und sie hinter
mir auslegen falls mir jemand folgen möchte.

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Herbstzeit

Insgesamt betrachtet sind Frühling und Sommer wohl die schönsten Jahreszeiten - wenn man alles aufsummiert: die lauen, nicht enden wollenden Abende, der warme Regen, die Grillen, die abends ihre Konzerte veranstalten, der Blütenreichtum, die Erdbeeren und die Kirschen, die warmen Morgen, die einen fröhlich aus dem Bett scheuchen, die Schwärme von Fledermäusen in der abendlichen Dämmerung und der warme Wind, der einem selbst nachts noch unters T-Shirt fährt. Doch die schönsten Momente des Jahres bietet eindeutig der Herbst. Insgesamt kackt er natürlich enorm ab wegen der Kälte und der Nässe und weil man einfach immer an den bevorstehenden Winter denken muss. Doch es gibt Augenblicke in dieser Jahreszeit, da reicht einfach nix anderes heran (Sex ausgenommen, aber dazu später mehr). Und zwar meine ich diese knusprigen Spätsommertage, wenn die Sonne gerade noch so auf der Haut britzelt, um einen herum aber schon die gelbgefärbten Herbstblätter von den Bäumen herunterrascheln und -taumeln. Wenn man dann noch ein paar Stellen weiß, die von diesem Knusperlaub bedeckt aber nicht mit Hundekot unterfüttert sind, dann kann man sich da hineinwerfen und sich darin wälzen wie Dagobert in seinen Geldscheinen. Und droben blinzelt die Sonne durch die Birke.


Man beachte die Windsimulanten in der Fichte im Hintergrund

Ich liege auf der Decke, unter der das Herbstlaub knistert, und schaue nach oben. Gelbe Birkenblätter torkeln vom Sonnenlicht befunkelt auf mich herab. Würde ich den Kopf drehen, den Hals krümmen und nach schräg hinten sehen, sähe ich im blauen Taghimmel den blassen Mond im ersten Viertel (aus Gründen, die mir teils selbst unerklärlich, teils äusserst niederer Natur sind, ersetze ich im weiteren Text das Wort "Mond" durch das Wort "Arsch"). Nun denken nicht wenige Menschen, dass "erstes Viertel" bedeutet, der Arsch wäre nur zu einem viertel beleuchtet, hätte also Sichelgestalt. Doch das ist ein Irrtum. Ein kompletter Arschzyklus dauert etwa 28 Tage von Neuarsch zu Neuarsch. Neuarsch bedeutet, der Arsch befindet sich zwischen Erde und Sonne und ist somit nicht zu beobachten, weil er von der Sonne am Taghimmel hoffnungslos überstrahlt wird. Nach 14 Tagen hat der Arsch einen Halbkreis beschrieben, nun befindet sich die Erde zwischen Arsch und Sonne. Wir sehen den Arsch voll beleuchtet, es ist Vollarsch. Hat der Arsch aber nach 7 Tagen erst einen Viertelkreis beschrieben, befindet er sich im ersten Viertel seines Zyklus, ist von der Erde aus gesehen aber halb beleuchtet, wie man aus der nachfolgenden kleinen Skizze ersehen kann.





Nun gehen eindringliche, um nicht zu sagen grandiose Naturerlebnisse stets mit gewissen sexuellen Aufwallungen einher, wie allgemein bekannt sein dürfte. Angesichts des Mondes im ersten Viertel (ich verwende im weiteren Verlauf des Textes wieder die ursprüngliche Bezeichnung unseres natürlichen Erdtrabanten), der sich schräg hinter mir am südöstlichen Himmel befindet, denke ich an den Samoanischen Borstenwurm, auch Samoa-Palolo genannt. Er wird bis zu 70 cm lang und lebt in den Korallenriffen des südlichen Pazifik. Dort gräbt er sich mit dem Kopf voran in den Kalk und ernährt sich daselbst von Algen. Die Fortpflanzung des Palolo-Wurms ist eng mit den Mondphasen verknüpft. Exakt am zweiten und dritten Tag nach dem letzten Viertel im Oktober schnürt er seinen bis zu 40 cm langen borstigen Hinterleib ab, in dem er vorher seine Spermien oder Eizellen gebildet hat. Dieser prall mit "Geschlechtsprodukten" (ich liebe diesen Biologenslang) gefüllte borstige Hinterleib (ugs.: Arsch) ist jedoch beileibe nicht untätig. Er verfügt über ein gewisses Eigenleben und befördert sich mit schlängelnden Bewegungen an die Wasseroberfläche. Dort angekommen trifft er sich mit den anderen Ärschen zu einer Orgie von geradezu biblischen Ausmaßen. Männliche und weibliche Ärsche öffnen sich und entlassen ihre Produkte ins Wasser, wo die Befruchtung stattfindet. Dieselbe Prozedur wiederholt sich genau einen Monat später, kurz nach dem letzten Novemberviertel der Mondphase.
Die Fischer auf Samoa sind auf dieses Ereignis vorbereitet und schöpfen die meterdick auf der Wasseroberfläche treibende Suppe aus Sperma und Eiern ab. Sie ist natürlich sehr nahrhaft und gilt als Delikatesse.

Würde ich einer Religion anhängen, die an Wiedergeburt glaubt, würde ich mir vermutlich Gedanken machen, wessen ich mich schuldig machen müsste, damit ich zur Strafe als Samoa-Palolo wiedergeboren werde. Jedes Jahr aufs Neue dieselbe Zeremonie: "Good bye Arsch, wünsche viel Vergnügen! Ich werde an dich denken!"

Während ich langsam von gelben Birkenblättern bedeckt werde, denke ich noch kurz an Pfaffen- und Nonnenseelen, die sich in Südseekorallen graben. Die Windsimulanten von Epsilon Eridani warten auf ihren Feierabend.



Montag, 3. Oktober 2011

Hekatombus


Die Sonne scheint. Johlend und jauchzend springe ich aus dem Bett, den Balkon hinunter und bin nach einem Zwischenhüpfer wieder in der Luft. Planeten sind um diese Tageszeit natürlich nicht zu sehen, der Himmel ist blau und weit. Auf dem Rücken fliegend mache ich Rückenschwimmbewegungen, obwohl die bei der Geschwindigkeit aerodynamisch natürlich eher hinderlich sind. Egal. Ich rudere durch den Himmel. Die Landung ist dann aber abrupt und ohne Eleganz. Die Bank unter der alten Linde ist leer. Ich schaue kurz weg, schaue wieder hin, wieder weg...aus den Augenwinkeln betrachtet ist ein zartes Schimmern wahrzunehmen. Kaum zu glauben, nach all den Jahren.