Donnerstag, 30. Juni 2011

Bergfest


Das Jahr hält kurz inne, aber nur einen furchtbar kurzen Augenblick. Es bleibt keine Zeit zum Verschnaufen, die erste Hälfte muss etikettiert, beschriftet und verstaut werden, damit der Rest sich ordnungsgemäß abspulen kann.


Die Dorfbewohner tragen grobe Kittel und stinken nach Kuhstall. Sie bilden die Mehrzahl der Fahrgäste im Gelenkbus der Linie 6, der von der Universität zum Bahnhof fährt. Ihre Dreschflegel, Sensen und Forken haben sie griffbereit neben ihre Sitze gelehnt. Sie unterhalten sich nicht, sie schauen lediglich grimmig und entschlossen drein. Einer fragt mich:

"Das Jahr. Haben Sie das Jahr gesehen? Wir müssen das Jahr vertreiben. Aber wo ist es? Es ist heimtückisch. Es versteckt sich. Wir müssen es vernichten. Aber wo ist es nur?"

"Ich weiß es nicht", sage ich unsicher und schaue nach draußen, wie weit es noch ist bis zur nächsten Haltestelle. Noch zwei Querstraßen. In meiner linken Hosentasche befühle ich die beiden siebzehner Schlossschrauben, die ich für solche Fälle stets bei mir trage. Vorsichtshalber friemele ich schon mal die Schutzfolie des doppelseitigen Klebebandes runter. Ich sehe mich um. Außer den Dorfbewohnern und mir befinden sich lediglich noch eine alte Stadtomi mit ihrer Enkelin und ein genügend unsympathisch wirkender Anzugträger mit Laptoptasche in dem Bus.
Als der Bus hält, gehe ich an dem Anzugträger vorbei zur Tür. Im Vorbeigehen klebe ich die beiden Schrauben links und rechts unter seinen Ohren an seinen Hals. Er dreht sich verdutzt zu mir um, doch ich bin schon draußen und die Türen schließen sich. Im abfahrenden Bus bricht die Hölle los. Dreschflegel fliegen, Sensen schwingen und Forken knallen gegen die Fenster. Dumpfe Schläge und Schreie sind zu hören.
Das Jahr, das draußen steht, sieht mich freundlich an.

"Danke!"

Montag, 27. Juni 2011

Frau Schubert und Todi auf dem Bad Wimpfener Talmarkt






(Der schwarze Balken war leider notwendig, damit ich diesem Blog keine Inhaltswarnung voranstellen muss)


Freitag, 24. Juni 2011

Horrorjoggen


Heute brauchte ich für meine kurze Joggingstrecke statt 35 Minuten volle zwei Stunden. Na ja, eigentlich war ich ja gewarnt. Es war kurz vor Sonnenuntergang, blauer Himmel mit vereinzelten Alto- und Stratocumuluswolken, dazu eine leichte Westbrise, welche die Apfel- und Birnbäume an der Strecke zum Rascheln brachte. Der Hinweg in den Wald verlief noch ohne besondere Vorkommnisse, und im Wald selbst läuft es sich ja sowieso immer völlig undramatisch. Die hohen Bäume schlucken sowohl Licht wie Wind und schaffen eine immergleiche Atmosphäre der Kontinuität. Als ich jedoch auf dem Rückweg den Wald wieder verließ und nun in Richtung der untergehenden Sonne lief, erwischte es mich voll. Eine große dunkle Wolkenbank in Form einer Diddelmaus mit Kamelhöcker türmte sich im Westen auf, daneben ein rundes Wolkengebilde wie ein ausgefranster Fußball. Darüber fegten die Stratocumuli davon und wurden vom Wind über mich hinweggetrieben. Die Sonne hatte eine Lücke gefunden, durch welche sie ungehindert hindurchscheinen konnte, wobei sie die Ränder der dunklen Wolken gleissend hell erleuchtete. Der Wind zauste an meinem Laufshirt, das hohe Gras zu beiden Seiten der Strecke raschelte und wogte, und zu allem Überfluss zirpte sich eine ganze Armee von Grillenjunggesellen einen Wolf. Das war zuviel für mich, meine Schritte wurden immer langsamer und zögerlicher, bis ich völlig stillstand und mich mit offenem Mund gaffend langsam und taumelnd um mich selbst drehte. Bald fühlte ich diesen Ansturm pittoresken Postkartenkitsches wie eine Zentnerlast auf mich niedersinken, immer weiter wurde ich nach unten auf die glücklicherweise sehr wenig befahrene Straße gedrückt. Eine Windböe rauschte über mich hinweg, mein schweißnasses Gesicht kühlend.
Ich schleppte mich auf meinen Ellbogen voran, doch der Druck auf meine Beine war zu groß, sie scheuerten schmerzhaft über den Asphalt. Dann verschwand die Sonne hinter der Diddelmaus, und die Wolkenränder strahlten noch heller als zuvor. Dazu blitzten nun Lichtschwerter durch jede Lücke als versuchten sie, die vom Wind entführten Wolkenfetzen auf der Flucht aufzuspießen. Es war sinnlos, ich drehte mich auf den Rücken und keuchte unter dem Ansturm dieser Naturdramatik. Ein großer schwarzer Käfer auf seiner Reise über die Straße musste einen kleinen Umweg um meinen Kopf gehen. Der Asphalt war warm, der Himmel blau, und die Grillen spielten ihre Serenade.

Ein älteres Ehepaar kam trippelnd vorbei, sie mit Nordic-Walking-Stöcken ausgerüstet. Neugierig und mitfühlend sahen sie auf mich herunter, sie schienen von den Naturgewalten völlig unberührt. Der Wind versuchte kurz, sie etwas aufzurütteln und zwirbelte an ihren weissen Haaren, doch ohne Erfolg.

"Was ist mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?" fragte mich der ältere Herr.

"Verpisst euch, geht weiter!" konnte ich mit Mühe doch mit einigem Nachdruck hervorpressen.

Sie schauten sich erst entsetzt, dann empört an, dann musterten sie mich erneut und schüttelten ihre Köpfe.

"Haut endlich ab!" brüllte ich, und endlich schienen sie verstanden zu haben.

"Das kann man aber auch netter sagen!", meinte die ältere Dame im Weggehen, "man meint es ja nur gut."

Da musste ich ihr insgeheim sogar zustimmen, doch nach einer Entschuldigung war mir im Moment nicht zumute. Ich drehte mich wieder auf den Bauch und versuchte erneut, kriechend etwas Weg zurückzulegen, doch ohne Erfolg. Der Druck schien sogar noch zuzunehmen. Mein Kopf wurde auf die Straße gepresst und ich verlor das Bewusstsein.

Die Welt schaukelte hin und her. Die Dämmerung war fortgeschritten, der Himmel nicht mehr strahlend blau, sondern dunkel, fast schwarz. Etwas stank furchtbar. Ich befand mich nicht mehr auf der Straße. Ich blickte nach oben und sah über mir das eine Auge meines Zombies baumeln. Auf seinem Kopf saß der Engel und lenkte ihn mit sachtem Klopfen gegen die Schläfen. Ich drehte meinen Kopf etwas zur Seite, um zu sehen, wohin die Reise ging. Mein Zombie trug mich offensichtlich nach Hause. Unter dem regelmäßigen trapp-trapp seines eigentümlich ausladenden Laufstils sank ich in wohligen Schlaf.


Mittwoch, 22. Juni 2011

(Alp)traum


In unseren Träumen tritt das Unwahrscheinlichste ja nicht minder selbstverständlich auf wie das Wahrscheinliche. Trotzdem wunderte ich mich letzte Nacht sehr, als ich mich im Traum auf den Betonstufen der Uferpromenade sitzend wiederfand, was zugegeben noch nicht sehr dramatisch klingt. Dramatisch war eher der Umstand, dass sich in meiner Begleitung eine ehemalige Mitschülerin befand, zu der ich weder während der Schulzeit Kontakt hatte noch danach. Wobei der Begriff "Begleitung" etwas missverstanden werden könnte. Tatsächlich saßen wir relativ engumschlungen da, während meine Hände langsam auf Forschungsreise gingen.
Im weiteren Verlauf des Traums brach dann noch hinter dem gegenüberliegenden Ufer des Sees ein Vulkan aus. Eine schwarze Aschesäule, durchsetzt mit emporgerissenen glühendem Magma, stieg langsam wallend und drohend in die Höhe. Nach einer Explosion wurde etwas emporgeschleudert, es flog im hohen Bogen auf die Uferpromenade zu. Im Näherkommen entpuppte es sich als riesiger, metallisch-schimmernder Felsbrocken, der glücklicherweise weit draußen ins Wasser plumpste. Die aufgepeitschten Wellen machten die Leute auf der Uferpromenade nun doch etwas nervös, die ersten standen auf und gingen etwas vom Ufer zurück. Auch ich und meine Begleiterin sahen uns genötigt aufzustehen und einige Stufen nach oben zu steigen. Dann spülten auch schon die ersten Wellen um unsere Füße.
Dann war der Traum zu Ende. Was für ein Scheißvulkan.



Dienstag, 21. Juni 2011

Montag, 20. Juni 2011

Wenn´s regnet (XIV)



Die Schneeflocken fielen nun immer dichter. Und sie wurden immer größer. Wenn Namensuchmann innehielt und lauschte, dann hatte er oftmals den Eindruck, dass die Flocken nicht auf die Wasseroberfläche rieselten, sondern regelrecht platschten. Schon fühlte er einen leichten Druck auf seinem Rücken, das konnte nur die wachsende Haube aus Schnee sein. Das Wasser begann nun doch, sich etwas kälter anzufühlen, teilweise schien es sogar eine sulzige Konsistenz anzunehmen. Und noch immer absolute Dunkelheit, keine Blitze mehr. Dafür Schmerzen in den Knien. Der harte Noppenboden forderte allmählich seinen Tribut. Kälte. Es wurde definitiv kälter.


Namensuchman kroch langsam, tastend. Nur zu präsent war die Erinnerung an seinen Beinaheabsturz, als die Linie plötzlich geendet und er nicht gemerkt hatte, dass der Boden, auf dem sie verlief, unter der Wasseroberfläche schon einen Meter zuvor senkrecht abgestürzt war. Das sollte ihm nicht noch einmal passieren. Platsch....platsch...Zeit spielt keine Rolle, erinnerte er sich. Das war in einem Film gewesen, Das 5. Element. Das einzige, was zählt, ist das Leben! So ging das Zitat korrekt weiter. In dieser Situation war sein Leben eine sehr überschaubare Angelegenheit. In absoluter Dunkelheit im Wasser kriechend eingeschneit zu werden ließ nicht viel Raum für Spekulationen. Aber da war immer noch der Bentley. Ein offenes Cabrio zwar, aber bestimmt mit einem Notverdeck. Gegen die Kälte zwar sinnlos, aber immerhin wäre er darin vor diesen dicken fetten Mutantenflocken geschützt. Jede einzelne schien das Gewicht des Schnees auf seinem Rücken merklich zu erhöhen. Der unheimliche Affe befand sich ja nun woanders, auf dem Grund des Unterwasserabgrundes, der auch Namensuchmann fast zum Verhängnis geworden war. Der Wagen. Dorthin würde er zurückkehren. Die Vorstellung, sich endlich aus dieser pechschwarzen, handbreit überfluteten Unendlichkeit emporzuheben und sich auf richtigen Sitzen niederzulassen, auszuruhen ohne dass das Gesicht in Wasser taucht, entwickelte eine fast übermächtige Triebkraft. Doch er durfte die Linie nicht verlassen, sie war sein einziger Orientierungspunkt. Doch sie führte ihn weg vom Bentley. Aber da war diese andere Linie, die zweite, die er entdeckt hatte. Wenn er sich nicht irrte und sein räumliches Vorstellungsvermögen noch funktionierte, musste die Linie, auf der er sich gerade befand, die zweite Linie bald treffen. Vorausgesetzt natürlich, es gab keine Kurven in diesem Geflecht; doch bis jetzt schien das nicht der Fall zu sein. Dann musste er nur noch dieser zweiten Linie nach links folgen und käme dann zum Bentley zurück.

Platsch...platsch...platsch...da war sie! Wie Namensuchmann vermutet hatte. Er kroch noch ein Stück weiter und tastete die neue Linie ab. Es war keine Kreuzung. Es war eine Einmündung. Die Linie, auf der er gekommen war, endete. Der neuen Linie nach links folgend musste er nach etwa 15 Metern auf den Bentley stoßen, ohne Affe. Doch wohin würde er wohl gelangen, wenn er der Linie nach rechts folgte? Vermutlich wieder zum Abgrund, nur nicht so schnell, da diese Linie nicht parallel, sondern schräg zur ersten verlief. Namensuchmann schätzte, dass er nach etwa 20 Metern kriechen in sulzigem Matschwasser wieder an den Abgrund gelangen würde. Wozu also sich die Mühe machen? Dann doch lieber gleich zurück zum Bentley. Doch dort würde es nicht weitergehen. Er hatte keine Idee, was er dort dann tun sollte ausser sich auf die nassen Lederpolster zu kauern und zu warten. Vermutlich für immer zu warten.
Da konnte er genausogut die 20 Meter bis zum Abgrund noch überprüfen und dann immer noch zum Auto zurückkriechen. Das schien keine unlösbare Aufgabe.

Er spürte nun jede noch so kleine Gumminoppe unter seinen Kniescheiben. Doch ihre regelmäßige Verteilung erlaubte eine gewisse Angleichung des Kriechrhythmus, sodass die Knie meistens genau zwischen zwei Noppen aufsetzten. Landete ein Knie doch einmal auf einer Noppe, half nur ein verbissener Schrei und ein deftiger Fluch, um den stechenden Schmerz in Zaum zu halten. Mehr als einmal drosch Namensuchmann bei solcher Gelegenheit mit seiner Faust wie von Sinnen auf das schwarze Wasser ein. Und kroch etwas vorsichtiger weiter. Noch zehn Meter etwa, dann musste er am Abgrund ankommen. Vorausgesetzt natürlich, die Abgrundkante verlief gerade und machte keinen Bogen zu ihm hin oder von ihm fort. Egal. Er kroch jetzt viel langsamer, tastete die Linie vor ihm erst gewissenhaft ab, ehe er sein Gewicht auf seine Hände verlagerte.

Die Linie endete. Doch der Noppenboden verlief waagrecht weiter. Kein Abgrund. Namensuchmann kroch von der Linie herunter, doch nicht, ohne mit seiner Linken ständigen Kontakt zu ihrem Endpunkt zu halten. In der absoluten Dunkelheit war sie sein Koordinatensystem, sein Wegweiser zurück zu seinem Nullpunkt, dem Bentley. Namensuchmann begann, einen Kreis zu kriechen um den Endpunkt der Linie, ohne zu wissen, was er eigentlich zu finden hoffte. Schaden konnte es jedenfalls nicht, sagte er sich gerade, als seine Rechte den Abgrund ertastete. Jedenfalls vermutete er, dass es sich um den Abgrund handelte, denn er konnte gerade mal seine Finger über die Abbruchkante schieben, solange er mit seiner Linken die Linie nicht loslassen wollte. Er durfte die Linie nicht verlieren. Wenn er sie nicht wiederfand, würde er nicht zum Bentley zurückgelangen, da war er sich sicher. Es musste der Abgrund sein. Die Wasseroberfläche war ruhig und ohne Wellenschlag, nichts deutete darauf hin, dass der Noppenboden darunter plötzlich senkrecht abfiel. Das war´s also. Es hatte sich ausgeforscht. Wenn er die Linien nicht aufgeben wollte, dann blieb ihm jetzt nur noch, zum Bentley zurückzukriechen.



Donnerstag, 16. Juni 2011

Frau Schubert und Todi beim Tandemspringen



(Also, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: der rechte Fallschirmspringer fragt seinen Kollegen, warum der die Omi bekommen hat. Er fragt nicht Todi! (bin leider zu faul, das Ding umzuzeichnen))

Mittwoch, 15. Juni 2011

Donnerstag, 9. Juni 2011

Montag, 6. Juni 2011

Höhere Wesen



"Der Leichnam schien äusserlich unverändert, und doch schwebte er langsam immer höher, als wäre er nur eine mit Helium gefüllte ultraleichte Hülle."


"Nun schreib´ doch mal was Schönes! Von Blumen z.B., oder von der Liebe!"

Ich erschrak fast zu Tode. Schräg hinter mir stand mein Zombie. Ich hatte das Fenster geöffnet, der Durchzug wehte seinen Aasgestank von mir fort, daher hatte ich ihn nicht bemerkt. Auf seinem Kopf, und halb auf der Schulter, saß der Engel. Er hatte die Gestalt und die Proportionen eines Erwachsenen, war aber höchstens 80 Zentimeter groß. Alles an ihm war irgendwie durchscheinend cremefarben, mit rötlichen Schlieren, die sich in seinem Inneren zu seltsamen Mustern zusammenfanden und dort, wo man sein Herz vermutete, einen dichten Knoten bildeten. Seine gefiederten, ebenfalls durchscheinenden Flügel waren jedoch frei von den roten Schlieren. Man konnte nicht sagen, dass er nackt war, aber auch nicht, dass er irgendwelche Kleidung trug. Seine Oberfläche schien seltsam indifferent. Wo man in einem Augenblick eine nackte Schulter wähnte, fältelte sich im nächsten Moment ein seidiger Umhang. Mein Zombie hatte nur noch ein komplettes Auge, das andere hing am Sehnerv etwa auf Höhe seines linken Nasenflügels. Aus der Augenhöhle tropfte eine wässrige Flüssigkeit auf meine Schulter.

"Boah...scheiße....", entfuhr es mir und ich schob den Zombie auf Armlänge von mir weg. Nicht auszudenken, wenn er mir die Tastatur volltropfte.

"Wie hältst du es nur Tag und Nacht auf diesem Ding aus?" fragte ich den Engel.

"Was für ein Ding?"

"Na....dieses....Ding!", sagte ich barsch und deutete ungeniert auf den Zombie, "wie kannst du nur darauf sitzen?"

Der Engel schaute an sich herunter, doch schien nichts Außergewöhnliches zu bemerken.

"Was meinst du?"


"Herrjeh", rief ich und wendete mich wieder meinem Computer zu, um weiterzuschreiben.

"Schreib´ doch mal was über die Liebe!", meinte der Engel wieder.

"Wieso ich? Schreib´ du doch was darüber, du kennst dich damit doch viel besser aus"


"Ich? Wieso ich?"

"Ich dachte, Engel bestehen aus nichts anderem als Liebe. Konzentrierte Zuneigung, kondensierte Weisheit, gestaltgewordener Frieden."


"So ein Unsinn"


"Na ja, das sagt man doch so. Was seid ihr denn sonst? Protoplastische Wirbel in Menschengestalt? Geistige Fata Morganas?"


"Eher eine Mischung aus beidem"


"Nee, im Ernst?"


"Grmpf....grölz.....mmmrrrrooar"


"Was hat er denn? Hunger?"


"Zombies haben keinen Hunger. Sie sehnen sich jedoch nach Leben, wie wir alle, doch in ihrem Inneren gähnt ein abgrundtiefer Schlund völliger Leere, den sie dann und wann zu stopfen trachten mit Material, das irgendwann lebte oder, besser noch, immer noch lebt. Eine Verhaltensweise, die natürlich gesellschaftlich keinesfalls auf Gegenliebe stösst."


Ich ließ mir mein Erstaunen nicht anmerken. Es war das erste Mal gewesen, dass der Engel die Existenz des Zombies erwähnte; gerade so, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Der Zombie schwankte nun wieder etwas vor, fing sich jedoch wieder, bevor er mir allzu nahe kam. Der Engel begann, die Schläfen des Zombies zu massieren und mit seinen filigranen Händen den dicken stinkenden Kopf leicht hin- und herzudrehen. Der grunzende Zombie drehte sich langsam in Richtung Zimmertür, und gemessenen Schrittes bewegte das seltsame Duo sich nach draußen. Es war Abend geworden, ein leichter Wind wehte durch die Baumwipfel, in breitbeinigem Trab ritt der Engel den Zombie in den Sonnenuntergang.


Donnerstag, 2. Juni 2011

Vatertagsjoggen



"NICHT ERSCHRECKEN!....HAAALLOOO....HUUHUUUU.....NICHT ERSCHRECKEN"

Ich rief mir praktisch schon 100 Meter vorher die Seele aus dem Leib. Auf dem Hinweg war ich nicht so vorsichtig gewesen. Da war die ganze Schafherde mitsamt allen Lämmern wie von Taranteln gestochen hochgeschreckt, als mich meine Joggingroute an ihrem Gatter vorbeiführte. Das war mir gar nicht recht gewesen, sie hatten so schön und friedlich unter den schattigen Bäumen am Wegesrand gedöst. Jetzt, eine halbe Stunde später, hatten sie es sich gerade wieder an derselben Stelle bequem gemacht.

"HUHUUU....NICHT ERSCHRECKEN....ALLES OK!"

Es schien zu fruchten. Sie hoben lediglich müde ihre Köpfe und glotzten mir entgegen. Die Kleinen waren etwas neugieriger und aufgeweckter, doch niemand rannte davon. Selbst, als ich in nur zwei Metern Entfernung an ihnen vorbeirannte blieb alles ruhig.

Puuuh...nochmal gutgegangen, dachte ich.

Ich war erst ein paar dutzend Meter weitergerannt, da hörte ich hinter mir doch wieder dieses erschreckte Getrappel, wenn 50 Schafe plötzlich den Hügel hinaufrennen. Ich drehte mich also im Laufen um und sah den grüngelben Zombie, der mich schon seit geraumer Zeit überallhin begleitete, wie er mit seinem typischen, stolpernden doch zugleich raumgreifenden Schritt hinter mir herkam. In seinen Händen hatte er ein halbgroßes Schaf, von dem er gerade einen ordentlichen Bissen abriss. Seine Laufkoordination schien in keinster Weise darunter zu leiden.

So ein gottverdammter Mist, so ein Arschloch!, dachte ich bei mir. Aber es hatte ja keinen Zweck, er war für jede Art von Konversation oder Kommunikation völlig unempfänglich. Also sagte ich zu dem kleinen Engel, der seit kurzem auf Kopf und Schultern des Zombies zu wohnen schien: "Konntest du nicht aufpassen? Du hättest doch etwas tun können, verhindern können, dass er das arme Schaf reisst! Wozu sitzt du denn all die Zeit dort oben?"

"Erstens bin ich für deinen Zombie nicht verantwortlich, ich sitze nur zufällig auf ihm! Und zweitens war das Schaf sowieso schon tot, hast du das denn nicht gesehen? Er hätte doch gar kein gesundes Vieh erwischt, so tollpatschig, wie er nun mal ist."

Das machte die ganze Sache natürlich nicht appetitlicher, aber zumindest musste ich mir nicht vorwerfen, am Tod eines Schafes mitschuldig zu sein. Ich trabte etwas zur Seite, um an meinem Zombie vorbei nach hinten zum Zaun schauen zu können. Er war auf mindestens fünf Meter Länge niedergewalzt. Ich hoffte, dass der Bauer nicht ausgerechnet in diesem Augenblick mit seinem Wasseranhänger aufkreuzen würde.