Dienstag, 17. Januar 2012

Januarmoosung



Nach dem "Gott des Gemetzels" gingen wir noch in eine Weinstube. Ich trank einen Milchkaffee und einen gewöhnlichen Kaffee, sie bestellte ein Glas Rotwein.


"Und was hast du heute sonst noch so gemacht?"

"Kurz bevor ich dich abholte war ich noch joggen. Dabei habe ich eine Moosung durchgeführt"

"Eine .... was?"

Sie schien tatsächlich verunsichert. Ängstlich verunsichert, nicht neugierig verunsichert. `Was kommt denn jetzt´, schien sie zu denken, `hoffentlich nix Ekelhaftes´.

"Eine Moosung", wiederholte ich und fing an zu erklären:

"Meine Joggingstrecke führt an einer kleinen Anhöhe vorbei. Oben auf der Anhöhe steht ein Wasserpumphäuschen, das rundherum mit Erde bedeckt und begrünt ist". Dass das ganze von weitem wie eine weibliche Brust mit aufgerichteter Warze aussieht ließ ich erstmal noch unerwähnt.

"Das Gras auf der Südseite des Pumpenhaushügelchens ist angenehm mit Moos durchsetzt. Wenn man sich darauf legt kühlt man von unten nicht aus."

"Aha"

"Ja. Denn eine richtige Moosung kann nur bei böigem, eisigem Ostwind durchgeführt werden. Ob der Himmel nun bedeckt ist oder wolkenlos ist dabei nicht so wichtig."

Ich wartete kurz auf eine Erwiderung, aber als keine kam, fuhr ich fort:

"Ich bin also von meiner Joggingstrecke runter und den kleinen Abstecher zu meiner Moosungsstelle gelaufen. Es war ungefähr zehn Minuten vor Sonnenuntergang. Als ich von zu Hause losgelaufen war fröstelte ich noch etwas wegen des kalten Windes, doch bei der kleinen Anhöhe angekommen war mir schon längst angenehm warm. Ich legte mich auf den kleinen Abhang auf das isolierende Moos und streckte alle Viere von mir. Über mir spannten sich die kahlen Äste des Bergahorns, der direkt neben dem Pumpenhäuschen steht. Der Eiswind aus den Steppen Russlands pfiff und rauschte durch den Ahorn, doch ich lag windgeschützt und warm."

Ich legte eine Kunstpause ein und nippte von meinem Kaffee. Sie schaute interessiert, doch sagte nichts.

"Moosungen können nur im Winter durchgeführt werden. Im Sommer ist das Gras zu hoch, und selbst wenn es gemäht ist muss man ja befürchten, von den Zecken aufgefressen zu werden. Ausserdem gibt es im Sommer nicht diesen dramatischen Gegensatz zwischen brausendem Eiswind und wohliger Laufhitze. Ich liege dann immer da auf dem Moos, höre dem Wind zu und betrachte den Himmel durch die schwankenden Äste des Ahorns."

Dass ich dabei manchmal die Finger in das weiche warm-feuchte Moos drücke ließ ich unerwähnt. Ich war mir nicht sicher, ob das nicht als Anspielung missgedeutet werden würde.

"Und da ich die Moosung heute vorgenommen habe, ist es eine Januarmoosung gewesen. Die sind relativ selten, denn oft liegt ja Schnee in diesen Tagen, oder das Moos ist nass. Nasses Moos ist ein Moosungsausschlussfaktor."

"Und wie lange liegst du da dann so?"

"Hm....schwer zu sagen. Höchstens fünfzehn Minuten, denke ich. Länger geht nicht, weil ich dann auskühlen würde. Die dünne Laufjacke hält ja nicht warm auf Dauer, wenn man sich nicht bewegt."

"Sag Bescheid, wen du das nächste Mal zum Moosen gehst, dann laufe ich mit!"

"Ok", sagte ich.

Dann zahlten wir.


Montag, 9. Januar 2012

Ach was



Heute beim Joggen keine Moosung durchgeführt, zu nass. Und die Toten zu unruhig in ihrem Gemergel. Mir war, als würde ein riesiger ausserirdischer Zeppelin die Erde durchqueren. Ein Zeppelin aus glitzerndem Kristall, im Durchmesser nur knapp kleiner als die Erde und gemacht aus einem Material ähnlich Neutrinos, die normale Materie wie nix durchdringen können. Er fliegt frontal auf die um die Sonne wandernde Erde zu, doch anstatt sie zu rammen dringt er einfach durch sie hindurch mit einem kaum wahrnehmbaren mmmhhhchhh. Die Schichtungen aus Toten tief unter uns beginnen hörbar zu schwirren wie die Saiten einer Geige, über die der Bogen streicht.


Als ich das planetengroße Leitwerk an mir vorbei in der Erde verschwinden sehe, denke ich an ein Gedicht, das ich vor Urzeiten ersonnen hatte. Ich glaube, es war irgendwann in den neunzigern des vorigen Jahrhunderts:

Manchmal, wenn man ganz still ist
und sich nicht bewegt,
dann fühlt man, wie die Zeit lautlos
durchs Zimmer schwebt,
fast unbemerkt.
Hebt man die Hand und hält sie
in den unendlichen Strom
sieht man sie faltig und welk werden.
Die Gedanken sind traurig und schwer,
denn das Kind, das man war,
ist verloren

Die nackte Frau neben mir auf dem Liegestuhl, die meine Jacke trägt, sagt nichts. Sie hat ihre Hände im Schoß verschränkt und schaut auf ihre Fingernägel. Ich schaue mich um, doch es gibt nichts anderes zu sehen als Himmel und die weissliche runde Oberfläche des Atompilzes. Schräg hinter mir sinkt Venus, der Abendstern dem Horizont entgegen, rechts über uns ist schon Jupiter zu erkennen. Es handelt sich um die momentan korrekte Konstellation. Aber oberirdische Atomexplosionen werden seit über fünfzig Jahren nicht mehr durchgeführt.

"Wo ist der alte Mann jetzt?" fragte ich.

"Als er mich hier auf den Liegstuhl packte rutschte er mit seinen nassen Badelatschen aus. Aus seiner Manteltasche fiel eine Flasche Scotch. Sie ging aber nicht kaputt, sondern fing an zu rollen, wurde immer schneller, folgte der Schräge. Der Typ rannter hinterher, rutschte nochmals aus, rannte wieder, bis er und die Flasche ausser Sicht waren. Ich nehme an, er ist runtergefallen"

"Hm", machte ich. Schade um den Whisky.

Die Situation war ermüdend. Ich stand von dem Liegestuhl auf und legte mich direkt auf der Zeitfläche auf den Rücken. Droben kamen nun immer mehr Sterne zum Vorschein. Ein warmer Wind wehte, spielte mit Karlas Haaren. Ich wurde nicht schlau aus ihr. Es war egal.


Mittwoch, 4. Januar 2012

Na sowas (IV)

Beim Hinsetzen auf den Liegestuhl hatte ich nicht bedacht, dass sich Karla damit nicht mehr in meinem direkten Blickfeld befand, was ich sehr schade fand. Wie ein romantisches Liebespaar schauten wir nun in eine gemeinsame Richtung, in der es nur leider nicht viel zu sehen gab. Bloß den nahen Horizont des gefrorenen Atompilzes, dahinter der zunehmend erdunkelnde Abendhimmel mit Venus im noch sternenlosen Nichts. Ich überlegte, was ein normal denkender Mensch in einer solch unvorhergesehenen, ja unverhofften Situation tun würde. Vor meinem inneren Auge erschien ein flüchtiger Bekannter, der in der Immobilienabteilung der Raiffeisenkasse arbeitete. Was würde er wohl tun, wenn er Feierabend machte, aus der Tür seines Büros trat und sich plötzlich alleine mit einer schönen nackten Frau auf einem Atompilz wiederfand? Ich wurde nervös, mir fiel keine Lösung ein. Vielleicht wäre es ratsam gewesen, den Irren nicht unter dem Stein zu begraben. Womöglich war er eine Inkarnation des Universums selbst, das jetzt plötzlich stillstand ob meiner brutalen Attacke. Dabei hatte ich doch nur in Notwehr gehandelt, gewissermaßen. Aus einer Stresssituation heraus.
Ich hatte Karla etwas gefragt. Jetzt fiel mir wieder ein, dass sie noch nicht geantwortet hatte. Stattdessen zog sie die Schoßzipfel meiner Jacke enger um sich und ein Stück weiter über ihre Oberschenkel. Ihre Knie berührten sich fast. Ich schätzte, dass der Zwischenraum etwa drei Millimeter betrug. Oder auch fünf. Es war schwer zu sagen aus meiner Perspektive. Ich überlegte, wieder aufzustehen und vor sie hinzuknien, um den Abstand genauer abschätzen zu können und dabei auch gleich herauszufinden, wie es zu diesem kleinen Abstand kam, warum sich die Knie nicht ganz berührten. Nach reiflicher Überlegung fasste ich den Entschluss, dass eine solche Unternehmung im Augenblick wohl doch nicht angebracht ist. Ihre nackten Füße ruhten auf der milchig weißen Oberfläche der Zeitmembran. Ich versuchte es mit einer anderen Frage:

"Ist Ihnen nicht kalt? Sie haben doch bestimmt kalte Füße?"

"Nein, der Boden ist nicht kalt. Fühlt sich eher warm an"

Ich legte meine Hand auf den glasigen Boden mit den zart mäandernden Farbschlieren darin, etwa drei Zentimeter von ihrem linken Fuß entfernt. Sie zog ihn nicht zurück. Ihre Zehennägel waren lackiert, aber nicht auffällig. Ein dezenter rosa glänzender Schimmer verlieh den Nägeln eine gepflegte Durchsichtigkeit.
Die spiegelglatte Oberfläche, auf der wir uns befanden, war wider Erwarten nicht kalt wie Glas.


"Hm....", sagte ich.

"Was ist das Letzte, an das Sie sich erinnern können, bevor Sie hier auf diesem ... Ding ... zu sich gekommen sind?" fragte sie.

"Ich kann mich an alles erinnern", sagte ich. "Ich war nie bewusstlos. Sie etwa?"

Karla räusperte sich. Die Frage schien ihr unangenehm zu sein. Schließlich antwortete sie doch:

"Ich kam zu mir, als mich der alte Mann wie einen Sack auf seinen Schultern hier zu diesem Liegestuhl trug. Ich kam zu mir und fing an, auf ihn einzuprügeln, bis er mich runterließ. Wie sich herausstellte, war er harmlos. Er schrie mich an, er habe mich einige hundert Meter entfernt von hier liegen sehen und sich wegen des dort schon sehr starken Gefälles Sorgen um mich gemacht."

"Er schrie Sie an?"

"Ja, er war fast taub. Schwerhörige Menschen schreien immer. Sein Hörgerät schien kaputt zu sein"

Ich überlegte, woran mich diese Geschichte erinnerte, doch ich kam nicht darauf. "Und dann?"

"Gerade, als wir den Liegestuhl hier erreicht hatten und er mich runterlassen wollte stolperte er über seine blöden Badelatschen."

Ich stützte meinen Kopf in meine Hände und massierte die Schläfen. Zu Hause saßen jetzt mein Engel und sein Zombie bestimmt vor dem Fernseher und schauten sich das Schneegestöber an, das man sieht, wenn man den Antennenstecker zieht. Das war ihr Lieblingsprogramm. Manchmal leistete ich ihnen dabei Gesellschaft. Ich stand auf und ging ein paar Schritte.

"Blaue Badelatschen?", fragte ich.

"Ja"

Montag, 2. Januar 2012

Prominente der Zeitgeschichte, schreiend im Weltall

Heute: Christian Wulff
(Beim Versuch, dem Weltall auf den AB zu rotzen
)