Freitag, 21. Dezember 2018

Heute ist es soweit, das Gesetz kommt rumpelnd und ächzend zur Ruhe. Aber nur kurz, für einen Wimpernschlag nur, jedenfalls solange man in geologischen Zeiträumen denkt. Man denkt immer in Räumen, die hermetisch abgeschlossen sind. Manchmal sind diese Räume klein, und man dozt ständig an die Wände. Oder sie sind riesig, astronomisch riesig, und man wird selbst zu einer Anomalie im Vakuum.
Namensuchmann steht plötzlich auf und wendet sich dem Schankraum zu, sich am Barhocker abstützend. Er brüllt aus Leibeskräften:

„Wenn das Gesetz ruht, dann ist es wehrlos. Und wenn es ruht, dann schaut es anders auf uns herunter, mit einem müden Herzen, die alte Seele schutzlos entblößt.“

Im Schankraum, in dem nur wenige Plätze besetzt sind, ist zustimmendes Gemurmel zu hören. Draußen, vor der großen, beschlagenen Scheibe, sinkt eine gigantische, durchsichtige Hand kraftlos herab und löst sich zwischen den hupenden Autos in Luft auf. Nach kurzem Innehalten strömt der Verkehr wie zuvor.

Namensuchmann sieht bedauernd an sich herunter, auf seine braunen Halbschuhe, schwankt etwas und fährt, etwas leiser und wie in Gedanken versunken, fort:

„Sollte ich mir Springerstiefel kaufen und darauf herumtrampeln? Oder sollte ich es in den Arm nehmen und trösten?“

Eine weitere durchsichtige Riesenhand sinkt wie eine Schneeflocke in Zeitlupe durch die Kneipendecke und verschwindet im Fußboden. Die abgestandene Luft riecht nun etwas nach Ozon und durchgebrannter Elektronik. Kneipengemurmel, als wäre nichts gewesen.

„Nein“, murmelt Namensuchmann ernüchtert, „ich werde es für diesen kurzen, kostbaren Augenblick ignorieren und einfach nur innehalten.“

Namensuchmann wächst Er schaut auf die Kneipengäste herab, die keinerlei Reaktion zeigen und anscheinend durch ihn hindurchschauen. Aber Namensuchmann wächst nicht, er schwebt nur in die Höhe, mit dem Kopf ist er nun schon durch die Decke gedrungen. Oben ist ein Badezimmer.

Das Gesetz, wenn es ruht, fühlt sich feucht und kalt an. Aber man ist schnell hindurch, wenn man sich nicht ablenken lässt vom Sirenengeheul der Gestrandeten, die seltsame Bewegungen und Verrenkungen vollführen als hätten sich ihre Lebensfäden in tolldreiste Drahtfedern verwandelt.

„Jetzt schweifen Sie ab!“, ruft jemand aus unmittelbarer Nähe. Erschrocken dreht Namensuchmann sich um, wobei er etwas mit den Armen rudern muss. Ein Gestrandeter treibt langsam und mit weit aufgerissenen Augen an Namensuchmann vorbei in Richtung der Toilettenschüssel. Der Mund des Gestrandeten pumpt wie ein Fisch auf dem Trockenen. Wie konnte er diese Worte gesagt haben? Pumpworte. Fischworte. Namensuchmann schaut ihm fragend hinterher, doch in den Menschenfischaugen ist keinerlei Verständnis oder Intelligenz mehr zu erkennen.





Freitag, 30. November 2018

Prominente der Zeitgeschichte, schreiend im Weltall


Heute: Angela Merkel (beim Versuch, im Weltall Braunkohle abzubauen)

Muff und Sterne

Das Fell der Welt ist durchwirkt von gleissenden, mäandernden Mustern. Darunter gut fühl- und tastbar die Knochen, grob und grotesk verrenkt. Das Fell fühlt sich samtig und weich an und weist keinerlei äussere Verletzungen auf. Ich nehme mein Messer, mit dem schon der wütende König ganze Planeten aus ihrer Decke geschlagen hat, schneide und schlitze mit sicherer Hand, dann ein kurzer Ruck, und der Pelz der Welt hängt in dicken nassen Falten über meinem Arm. Ich hoffe, er reicht ausser zu einer Stola und einer Mütze auch noch zu einem schönen warmen Muff; meine stets eisigen Hände wären sicher sehr erfreut.

Ich gehe ein paar Schritte, halte dann jedoch grübelnd inne. Ich versuche noch einen weiteren Schritt. Es funktioniert, mein linker Fuß hebt sich, und senkt sich ein paar Zentimeter weiter wieder in den wassergebundenen Kies. Das Grübelthema ist alt. Und ausgefranst wie eine alte Decke.
Müde setze ich mich auf eine Bank und hänge das rot triefende Paket über die Lehne. Jemand drückt mir von hinten die Augen zu mit sanftem Druck. Die Hände fühlen sich weich und warm an, sie riechen gut, ja fast schon beruhigend, nach Salz und Honig und Algen. Ich atme aus. Keine Eile, wieder einzuatmen.

"Die Fundamente wurden viel zu tief gesetzt, es wird Jahrzehnte dauern, bis die Mauern aus der Grube wachsen. In den umliegenden Straßen liegt derweil das Leben in fetten Laiben, Menschlein ausschwitzend."

"Ach Magdalena, komm herunter, gib mir die Dinge, die mich begraben. Mein Herz rumpelt und poltert, schlägt es auch mal wieder normal? Oder springt es mir aus der Brust?"

"Hängt feurige Leuchten in die nebelnassen Bäume", ruft sie einem einsamen  Wanderer zu, der unten am Ufer entlanggeht, "die werden tanzen und schwanken, wenn die Einschläge anfangen."

Der Wanderer winkt mit seinem Wanderstock und geht weiter. Er hat nichts verstanden.

Ein warmer Wind weht durch die weite, zweiflügelige Tür. Dahinter die Postkartenidylle einer Spiralgalaxie, die sich über einen Himmel ohne Horizont, ohne Begrenzung, in absurde Tiefen spannt. Im Schein von Welten, schmerzhaft fern, schlafe ich ein.




Samstag, 15. September 2018

Eine Stimme, man lauscht

Man geht einen Schritt, und man geht noch einen Schritt,
und die Sonne scheint alt und rot von hinten, auf den Rücken
und auf die Haut, drückt einen nach vorne, zieht fast,
ist leise und geduldig, wärmt nur sachte, geht ins Hirn und ins Herz.
Man möchte sich auf die roten, warmen Strahlen legen, sich über 
sie bäumen und unter sie fügen und dabei den Lauten lauschen, 
das Knistern und Rascheln erleben und Haut spüren unter der Hand,
warm und wärmer, wie Leben weit, ganz weit entfernt.

Mittwoch, 29. August 2018

Im Hafen, gegenüber Konzilgebäude

Menschengemurmel, Kinderlachen, Plastikräder auf knirschendem Rollsplit. Eine Sonne, die nochmal alles gibt, doch immer tiefer sinkt, strahlend zwar, doch unweigerlich dem Abend grauend. Der kalte Wind, er zutzelt an meinen nackten Armen und am flatterigen T-Shirt, fährt mir den Rücken hoch.

Eine seltsame Unbewohntheit in meinem Körper, die Strömung der Tage mitten durch mich hindurch,  ohne Wirbel, ohne Murmeln. Doch nein, ein Teppich aus zerfaserten, zerfallenden Tagen, wie Humus im Urwald, dünn gebreitet, duftend nach Fruchtbarkeit und des Schoßes Wärme. Des Schoßes Wärme. Der aufsteigende Duft, gefangen in einer bunten Montgolfière, die entschwebt in lichte Zukünfte und Vergangenheiten. „Nein, damit fliege ich nicht über Meere und Berge, nur über Wiesen und Wälder“.
Die Wälder rauschen. Ach, wie schweben die Wolken, bei Nacht und Mond, wenn der Wind raschelt im letzten Laub. 

„Nein“, sagte der Naturgeist, „draußen nur Kännchen“

Man kann auch durch Wüsten gehen, immer ein Schritt nach dem anderen. Man kann auch kriechen. Immer, wenn sich eine Hand in den heissen Sand gräbt, denkt man an kleine bunte Sandschlangen, so giftig, dass ein Biss das Universum zu lähmen vermag. Es würde erschrocken in seiner Expansion innehalten und sich mit einem Galaxienarm und einer Kugelsternhaufenhand die winzigen Blutströpfchen abzuwischen versuchen. Doch die kleinen, schillernden Tröpfchen wären durchsetzt mit Gift, das den Menschen auf Generationen noch fieberbunte Sonnenuntergänge bescheren würde.

Der Weg ist schmal, doch gut begehbar, ich wandere von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Vor mir geht Dunkelheit, sie stolpert nie und schweigt.





Mittwoch, 4. Juli 2018

Gott, in Saturn getreten

„Nein“, sagte der Himmel, als er im Angesicht der Tragödie des Meisters in brütendes Stieren und Starren verfallen war.
„Nein, nein, und nochmals nein. Ich werde nicht die Wälder berühren und auch nicht die Berge. Ich werde niemals wieder Heimstatt sein für Sterne und Hoffnungen. Und auch nicht für Gebete.“

„Kann ich sehr gut verstehen“, sagte ich in das einsetzende Schweigen hinein und nahm einen herzhaften Schluck aus der Flasche. Ich wusste nicht, was sich in der Flasche befand, aber es brannte in meiner Kehle wie die glühende Folterzange von Luzifer Luminosus persönlich.

Bald schon, nur eine kleine Weile später, verging die lodernde Höllenglut und beruhigte sich zu einem ganz gewöhnlichen, die üblichen Katastrophenmeldungen generierenden Flächenbrand, der langsam zwar, doch mit stupender Forschheit von meinem Äusseren Besitz ergriff. Leuchtend und flirrend stolzierte ich so unter den Menschen, gab ihnen Licht, gab ihnen Wärme.  Nur wenige bemerkten mich, wie einen Traum, dessen Vergänglichkeit einen bestürzt, aber auch beruhigt.