Dienstag, 30. März 2010

Vor der Pinkelrinne



Auf meinem Ohr Schalldruck und eine Art Klingeln, fast ein Pfeifen. Ich drehe meine Gesicht und merke, dass jemand aus einem Abstand von ca. 3 Zentimetern in meine rechte Ohrmuschel hineinschreit. Der Schalldruck fluktuiert, es handelt sich also vermutlich um Worte. Natürlich könnte es sich auch um einen monotonen langgezogenen Schrei handeln, der lediglich durch ein niederfrequent interferierendes Paralleluniversum zu einer wortähnlichen Resonanz angeregt wird, doch das ist eher unwahrscheinlich.
Ich kann jetzt den Gaumen hinten in dem Mund sehen, der mich weit aufgerissen und mit einem Speichelfaden zwischen oberen und unteren Schneidezähnen anschreit. Außer natürlich bei m- und p-Lauten, die ein kurzzeitiges Schließen der Lippen erforderlich machen. Durch den enormen dynamischen Druck der Schallwellen werden meine Augäpfel etwas eingedrückt, trotzdem kann ich die kleine eintätowierte Schrift auf dem Gaumenzäpfchen entziffern:

"Made for lovin´You"

Verwundert versuche ich meine zerdätschten Augen auf Nähe zu fokussieren, um mehr über das schreiende Gesicht im Vordergrund zu erfahren, doch es will mir nicht gelingen.
Ich versuche also, die Augen zu schließen und mich auf die Pinkelrinne vor mir an der Wand zu konzentrieren. Die Schallwellen aus dem schreienden Mund kräuseln den Urinfluß, der in der Rinne dem Abflußsieb entgegenplätschert. Ein Placken Putz löst sich durch die Erschütterung aus der Wand und poltert gegen den Rinnenrand, ehe er auf dem Fußboden aufschlägt und zerspringt, nur knapp neben meinem linken Schuh. Ich bin froh, dass er nicht in der Rinne selbst gelandet ist.



Freitag, 26. März 2010

Namensuchmann fährt Auto



Namensuchmann fährt Auto. Die Straße ist schmal, aber nicht gefährlich schmal. Der Belag trocken, die Sonne scheint, es ist Frühling, die Wiesen links und rechts der Straße sind noch braun vom Winter. Aufgelockerte Industriebebauung, Parkplätze, ein Zerspanungsbetrieb, ein Schnäppchenmarkt, bald kommt der ALDI.

Frühlingsglast, Licht wie in einem Schaukasten, es sind nicht viele Autos unterwegs an diesem späten Montagvormittag, doch die unterwegs sind, summen und glänzen.

Etwas fehlt. Oder ist zuviel. Namensuchmann blinzelt und schaut sich um. Nein, die Impedanz des Fehlens ist fast greifbar. Ein Widerstand, der es erschwert, in diese Fehlstelle einzudringen. Das Auto scheint plötzlich bergauf fahren zu müssen, Namensuchmann gibt vorsichtig etwas mehr Gas. Die Fehlstelle drückt gegen sein Gehirn, nicht stark, aber doch spürbar. Er hält an, es gibt nun einen Seitenstreifen, auf dem Lkws parken können, aber die Lkws sind heute woanders, nicht bei Namensuchmann.

Er schaltet den Motor aus. Ohne Maschinengesumm möchte man die dräuende Leerstelle anschreien, was Namensuchmann auch tut.




Donnerstag, 25. März 2010

Ausblick



Reizvoll finde ich die Vorstellung einer Adlerfeder, die irgendwo zwischen Erde und Mond im Weltall schwebt. Noch reizvoller wäre allerdings eine kuschelige, flaumige Wasservogelfeder, vielleicht sogar von einer der hiesigen Blog-Enten. Und wenn diese Entenadlerfeder nun Augen hätte, und diese Augen würden zufällig einmal nicht herausploppen, dann könnte diese Feder mit ihren Federaugen über sich den blauweißen Erdball sehen und unter sich den nahen Mond mit seinen staubigen Kratern. Und alles wäre still.

Die Stille des Weltalls, möchte man das? Stille ist das Geräusch des Inneren. Blutrauschen. Gedankengrieseln. Die Stille eines ruhenden Blickes. Aber zuerst muss man sich etwas suchen, auf dem sich der Blick ausruhen kann. Optische Labsal. Der blaue Planet, meine optische Labsal in der Stille des Vakuums. Sternenglanz. Sternenflucht. Sternenstaub. Sternenflimmern. Sternengelächter. Sternenraum. Sternenzimmer. Nackte Frau geht auch.

In meinem Sternenzimmer gibt es nur ein Möbel. Es ist ein großer, weicher Sessel, samtig und von dem Blau eines Himmels eine Weile nach Sonnenuntergang. Ungemustert, mit hoher, bauschiger Lehne, die man ganz weit nach hinten drücken kann. Vor dem Sessel, doch etwas zur Seite gerückt, schwebt eine kleine, schlanke Vase. Darin ein einziger Zweig mit weißen Kirschblüten. Mein Sternenzimmer hat weder Wände noch einen Fußboden, und auch keine Decke. Ferne schimmern die Welten.


Traum


Letzte Nacht hatte ich einen Traum.

Leider kann ich mich so gut wie nie an Traumhandlungen erinnern. Was mir im Gedächtnis bleibt, das sind kurze Sequenzen, eher nur Bilder, eine Art Screenshot aus dem nächtlichen Hirn.
Um meinen Traumshot von vergangener Nacht zu verstehen, muss ich vorher jedoch etwas ausholen: vor kurzem las ich einen Science Fiction Roman wieder, den ich zuvor erst zweimal verschlungen hatte. In diesem Roman haben die Menschen die Möglichkeit, durch Transmittertore zu gehen, und schon sind sie woanders, in einer anderen Stadt, auf einer anderen Welt.
In meinem Traum gab es auch solche Transmitter, leider hatten sie manchmal Fehlfunktionen. Und zwar konnte es vorkommen, dass man am anderen Ende nicht alleine, sondern zusammen mit einem identischen Duplikat von einem selbst aus dem Transmitter trat. Um Irritationen und Verwechslungen zu vermeiden, trugen diese Duplikate fürderhin gelbe Eimer auf ihren Köpfen.

In meinem Traum nun sah ich ein Duplikat meiner selbst mit einem über den Kopf gestülpten gelben Eimer durch eine archaische Landschaft gehen. Ich war flüchtig beeindruckt, dass mein Doppelgänger anscheinend völlig ohne jedes Hinterfragen akzeptiert hatte, dass er nicht das Original ist. Jedenfalls konnte ich mich in meinem Traum an keinerlei Auseinandersetzung erinnern. Der Eimer hatte eine seltsam bauchige Form.

Das war mein Traum

Samstag, 13. März 2010

Mottenkiste (1996)


Über dem grünen Land

da schweben die Luftschiffe
unter dunkel dräuenden Wolken
Aus den Bombenschächten
ein Regen von Sonntagen
mit irrem Geläut
nach Süden sausend

Menschen wie Blattschneiderameisen
große Schicksale heimtragend
darauf in ihren Kellern
nahrhafte Tragödien ziehend
nehmen Zuflucht in
riesigen Mobgebilden

Jodler an die Macht
ohne Tadel fährt der Priester zur Hölle
Eisen in die Erde
den Himmel durchtunneln
Hände berühren hinter uns
der große Diktator

Das Auge sieht berührungslos
Schönheit und Hass
Leben um zu fühlen
unbezwingbare Schläge von
Abendsonnenlichtschwertern
durch windbrausendes
Sommerlaub

Freitag, 12. März 2010

Gänseblümchenaugen im Weltall


Der Vollständigkeit halber:

Donnerstag, 11. März 2010

Blumen, schreiend im Weltall

Heute: Gänseblümchen


Mittwoch, 10. März 2010

Montage (vgl. montieren)


Toter Wind. Gestorben.
Oder nur eine abgestossene Hülle? Das Gebilde hängt noch obszön verrenkt im Birnbaumwipfel. Schaulustige. Die üblichen Verdächtigen; der Dorfirre mit seinem gramgebeugten Vater, Herr Niedermaier, der Gemeindearbeiter und Friedhofspfleger, meine grenzdebile Nachbarin mit ihrer Jüngsten und dem kleinen Hund, dessen Rasse ich mir nicht merken kann, die zugezogenen Ossis, gerade krankgeschrieben wegen Rheuma. Oder war es Gicht? Eine leise brummende Ansammlung.
Toter Wind. Oder nur eine abgestossene Hülle? Besteht Seuchengefahr? Wie ist er überhaupt gestorben? War es ein Unfall? Ich gehe weg. Ich war ohnehin der Einzige, der wirklich rein zufällig vorbeikam. Auf meinem Gang kommt mir ein Mann mit einer langen Stange entgegen, an der ein kleiner eiserner Haken angebracht ist. Man verwendet solche Stangen normalerweise, um im Herbst Obst von den Bäumen zu schütteln. Heute also wird toter Wind herabgeschüttelt, oder vielmehr gezerrt, stelle ich mir vor. Denn die Windleiche hatte die ganze Baumkrone durchdrungen, war in sie eingesunken wie Vanillepudding in ein vollgespicktes Nadelkissen. Ich freute mich auf den Film.
Im Kino bin ich der erste Besucher, es ist noch völlig leer. Ob noch jemand kommt? Aus unsichtbaren Lautsprechern dringt angenehme Musik. Ich kenne den Sänger nicht. Schlagzeug, Klavier und noch etwas anderes, das ich nicht erkenne. Ein gezupftes Cello? Er hat eine Stimme wie der junge Cat Stevens, es scheint eine Ballade zu sein, Herzschmerz und Weltenleid. Romantisch, sehnsüchtig, eindringlich. Schön. Ich stelle mir vor, eine CD von ihm zu hören, an einem späten Sommernachmittag, womöglich sogar ein Sommersonntagnachmittag, blauer Himmel, zerfetzte Cumuluswolken, kreisende Habichte weit oben. Wie in "A Serious Man", der Film, der nun beginnt. Amerikanische Vorstadt, gepflegt, eintönig, kleinbürgerlich, langweilig. Eine jüdische Gemeinde, ein Professor, dem das Leben zunehmend übel mitspielt, er beobachtet vom Dach seines Hauses zufällig seine sonnenbadende Nachbarin. Sie ist nackt. Später besucht er sie unter einem Vorwand. Natürlich ist sie mittlerweile angezogen, doch ihre Miene ist ernst, sie lächelt nicht, versprüht aber dennoch, oder gerade deswegen, eine Erotik, welche Zeit und Raum krümmt. Ereignishorizonte. Darunter, im Inneren, vergeht keine Zeit. Inseln der Zeitlosigkeit. Sommersonne. Am besten mit Sturm. Oder ist er tot? Grüne Gischt, blauer Himmel, warme Füße, Lüftungsgeräusch, Sonnenstrahlen, die schräg durch die großen Fenster des Altersheims scheinen. Herantasten an Gedanken. Kapitale Gedanken. Siebzehnender. Gedanken an nackte Frauen.

Junge Frau: "Morgen ist Samstag!"
Alte Frau: "Warum?"

Auf dem Heimweg fand ich einen Mann in einem Gully. Er guckte durch die eisernen Stäbe nach oben und schien in eine Gebet versunken.

"Brauchen Sie Hilfe?" fragte ich.

"Oh ja, danke", rief er freudig erregt nach einer kleinen Schrecksekunde, "könnten Sie bitte auf mich draufpissen?" Er legte nun seine dicken Finger um die Eisenstäbe, die Knöchel wurden weiß, doch er rüttelte nicht an seinem Gefängnis, er hielt sich nur fest, erwartungsvoll.

Ich schaute mich verstohlen um, ob jemand in der Nähe war. Nein, niemand zu sehen. Ich konnte mich also problemlos aus dem Staub machen, ohne der unterlassenen Hilfeleistung geziehen zu werden. Ich wich rückwärts zwei Schritte zurück und drehte mich dann um. Der Mann im Gully merkte meine Absicht und schrie hinter mir her:

"Blöde Memme, komm zurück, ich will deinen blöden Arsch hier über mir haben!"

Ich drehte mich um und ging zurück. Eine Woche zuvor hatte ich meine Schuhe neu besohlen lassen, sehr grobstollig und griffig. Mit dieser groben Sohle trat ich nun langsam auf die rosafarbenen Finger, die über die Gullystäbe hinausragten. Der Mann knirschte zuerst mit den Zähnen, dann heulte er auf. Doch bevor er etwas sagen und mich mit neuerlichen Schmähungen beleidigen konnte trat ich über ihn hinweg und machte mich aus dem Staub. Ich fragte mich, warum ich solche Sachen nicht einfach träumte um sie dann einen Sekundenbruchteil nach dem Erwachen wieder zu vergessen.



Dienstag, 9. März 2010

Freitag, 5. März 2010

Donnerstag, 4. März 2010