Montag, 23. März 2020

EDEKA

Namensuchmann wird immer langsamer, wie ein Spielzeugroboter, dessen Aufzugsfeder langsam erlahmt. Nicht zu schnell... laaaangsam langsamer werden. Metalangsam sozusagen. Und dabei nicht umfallen, das Gleichgewicht halten. Die Menschen um ihn herum werden unscharf, die Farben ihrer Klamotten beginnen zu verschwimmen und sich zu flirrenden Strichen langzuziehen. Sie beginnen zu summen. Aber sie summen keine Melodien, der Summton entsteht durch ihre schiere Geschwindigkeit relativ zu Namensuchmanns Stillstand. Stimmen, Sätze, Schritte und andere Geräusche werden zu stechmückenhaftem Sirren beschleunigt. 
Ein leises Knistern und Knacken macht sich bemerkbar. Das ist neu für Namensuchmann, soweit kam er noch nie. Das heißt, so laaaangsam wurde er noch nie. Mit äusserster Konzentration unter den Zeitfluss tauchen, sich absinken lassen, dabei durchsichtig werden und durchlässig. Fluffige Zeitflocken werden infolge der rasenden Relativgeschwindigkeit zu Gewehrkugeln, aber sie finden keinen Widerstand mehr, ja wundern sich nicht einmal, als sie wirkungslos durch Namensuchmann hindurchfliegen.
Um den fast perfekten Stillstand nicht zu stören, versucht Namensuchmann seinen Kopf virtuell zu drehen, versucht die Simulation einer Drehung, um seinen Ohren einen alternativen Hörwinkel zu ermöglichen. Sich bloß nicht wirklich bewegen, nicht die Annäherung an den absoluten Stillstand gefährden.  Doch was das Knistern und Knacken verursacht, kann er nicht erkennen, so sehr er sich zu konzentrieren versucht. Das große Knistern. Ist das das letzte Geräusch vor dem absoluten Stillstand, wenn die Relativgeschwindigkeit zur menschlichen Realität unendlich wird?
Der Markt ist längst geschlossen und verlassen, die leeren Gänge sind nur noch spärlich beleuchtet. Der kleine Engel sitzt auf den Schultern des riesigen Zombies und lenkt ihn sachte zum leeren Toilettenpapierregal. Dort halten sie kurz inne, dann hebt der Zombie seine schweren Arme und holt Namensuchmann aus dem obersten Fach. Niemand hatte ihn in seiner Bewegungslosigkeit bemerkt.

2 Kommentare:

Antirationalistischer Block / Christian Erdmann hat gesagt…

Endlich ein Stück Hyperrealismus in surrealer Zeit. Danke.

Moves hat gesagt…

In Zeiten, wenn die Realität aus den Gleisen springt und über die Schwellen und den Schotter holpert, sollte man tunlichst die nächsten Parallelgleise im Auge behalten und klug die Heißgetränke ausbalancieren.