Montag, 17. Januar 2011

Che Guevara im Weltall


Ich liebe Astronomen. Gerade neulich wieder hätte ich am liebsten einen geknuddelt, allerdings befand er sich nicht in Reichweite, ich las lediglich eine kleine Geschichte von ihm über die Schwierigkeiten, mit denen die Sterngucker während der vergangenen Jahrhunderte zu kämpfen hatten bei ihrem Bestreben, die Entfernungen der Sterne zur Erde zu bestimmen.

Ich las also so vor mich hin, als ich auf folgenden Satz stieß:

"Als Spiegelbild der Erdrevolution müssen die Sterne pro Jahr eine vollständige Ellipse beschreiben, die umso kleiner ausfällt, je weiter der Stern entfernt ist...."

Mich hat es fast zerrissen! Erdrevolution! Auf die Idee, so nonchalant und ohne großes Aufheben ein solches Kompositum in einen eigentlich ganz harmlosen Text einzubauen, muss man erstmal kommen. Das Wort passt natürlich perfekt. Schließlich stammt Revolution etymologisch vom lateinischen revolvere ab, was soviel wie umdrehen, umwälzen bedeutet. Und nichts anderes war gemeint als die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne.
Manch einer wäre vielleicht versucht gewesen, so einen Coup extra noch ein wenig zu akzentuieren, womöglich durch einen Smiley hinter dem Wort. Oder gar einem kursiv angefügten hihi, schamhaft in Klammern gesetzt. Aber nein. Ohne Vorwarnung und ohne jede begleitende Erklärung kommt dieses herrliche Wort einfach so aus dem Nichts und prangt plötzlich vor einem auf dem Papier. Erdrevolution.
Es dauerte lange, bis ich mich wieder gefangen hatte. Ich las den Absatz nochmal und nochmal und war jedes Mal voll freudiger Erwartung, als ich mich lesend dem Wort näherte. Noch ein Satz...noch ein halber....jetzt, nach diesem Wort.... Erdrevolution! Fast kugelte ich mich auf Boden, trampelte mit den Füßen, haute auf den Tisch, wischte mir Rotz und Lachtränen weg.
Im Grunde möchte ich dereinst, wenn ich das Zeitliche gesegnet habe, verbrannt und die Asche soll in alle Winde zerstreut werden, doch das hätte den Nachteil, dass ich auf einen Grabstein verzichten müsste. Nun jedoch überlege ich, mir zumindest ein Urnengrab vormerken zu lassen mit einem kleinen doch würdigen Grabstein, auf dem nur ein Wort stehen soll: Erdrevolution
Das hätte sogar noch den positiven Nebeneffekt, dass einige Besucher den Friedhof mit mehr Synapsen verlassen würden als sie ihn betreten haben. Ein letzter altruistischer Dienst an der Menschheit meinerseits.

Irgendwann dann konnte ich mich wieder auf den Text konzentrieren und wurde sogleich in das Jammertal bohrender Minderwertigkeitskomplexe gestossen. Es ging um den italienischen Priester, Astronom und Mathematiker Guiseppe Piazzi. Der entdeckte im Jahre 1792, dass der Stern 61 Cyg eine sehr starke Eigenbewegung aufweist. Nun muss man wissen, dass die Sterne am Himmel natürlich nicht alle einen Eigennamen haben wie Wega oder Aldebaran. Also ging man daran, den hellsten Stern eines Sternbildes mit einem griechischen alpha und dem Genitiv des Sternbildes zu benennen. Jeder kennt vermutlich alpha Centauri. Das ist der hellste Stern im Sternbild Zentaur. Der zweithellste Stern ist dann beta Centauri usw. Irgendwann ist man aber durch mit dem griechischen Alphabet und hat noch jede Menge Sterne über. Die werden dann einfach durchnummeriert, wodurch man beispielsweise im Sternbild Schwan (Cygnus) irgendwann beim Stern Nr. 61 ankommt. Und der Genitiv von Cygnus lautet Cygni.
Wer sich bei den heutigen Lichtverhältnissen das Sternbild Schwan anschaut, wird Schwierigkeiten haben, überhaupt 24 Sterne für das griechische Alphabet zusammenzubekommen, geschweige denn weitere fünf Dutzend bis man bei 61 Cyg angekommen ist, einem Sternchen fünfter Größenklasse. Das heisst, es ist bei idealen Sichtbedingungen mit bloßem Auge gerade noch zu sehen. (es steht zwar geschrieben, dass auch Sterne der sechsten Größenklasse ohne Hilfsmittel noch gesehen werden können, aber das gilt nur in der Theorie). Fünfte Größenklasse ist absolute Grenze, selbst bei Neumond im Hochgebirge.
Unserem Herrn Piazzi war dieses kleine, unscheinbare Sternchen aber offensichtlich nicht unscheinbar genug, um es nicht ein wenig zu vermessen. Kann ja nicht schaden.

Wie lange Herr Piazzi sich das kleine Sternchen (und vermutlich viele andere) nun anschaute, ist nicht überliefert. Im Jahre 1792 war es dann aber soweit. Er hatte herausgefunden, dass 61 Cyg seine Position relativ zu den anderen Sternen um monströse 5´´ pro Jahr veränderte. 5 Bogensekunden! Pro Jahr!
Nun ergeben 60 Bogensekunden eine Bogenminute (´), 60 Bogenminuten ergeben ein Winkelgrad. Sonne und Mond erscheinen uns am Himmel mit einem Durchmesser von ca. einem halben Grad, d.h. 30´(Bogenminuten). Will man sich am Himmel also den Abstand einer Bogensekunde veranschaulichen, nehme man den Vollmond und teile seinen Durchmesser in 1800 Teile. Um fünf Teile davon bewegt sich 61 Cyg pro Jahr voran. Oder anders ausgedrückt: in dreihundertsechzig Jahren durchmisst 61 Cyg einen Vollmonddurchmesser.
Und das hat Herr Piazzi mit einem Instrument herausgefunden, das heute kaum noch als Kinderspielzeug durchgehen würde, dessen Linse optisch mit einem Colaflaschenboden konkurieren müsste. Vor fast 220 Jahren! Herrgott nochmal, was hat er sich nur dabei gedacht?

Es war natürlich naheliegend, dass ein sich schnell bewegender Stern der Erde näher ist als ein langsamerer. Schließlich bewegt sich auch ein Jogger im Vordergrund schneller als ein Flugzeug am Himmel. Es verwundert also nicht, dass Friedrich Wilhelm Bessel im Jahre 1838 an 61 Cyg zum allerersten Mal einen Parallaxenwinkel messen und damit die Entfernung von der Erde berechnen konnte. Für den Parallaxenwinkel misst man den Winkel des Sterns zur Sonne. Mit dem Erdbahnradius als Basislinie und dem Parallaxenwinkel ist der Rest nur noch einfache Trigonometrie. Dieses Verfahren funktioniert allerdings nur bei den allernächsten Sternen. Es ist eine Genauigkeit bei den Messungen vonnöten, die einem schon wieder die Ehrfurchtsröte ins Gesicht treibt.



(Quelle: Kosmos Himmelsjahr 2011)

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