Samstag, 4. Februar 2012

Mal sehen



Ich würgte. Ich spuckte. In meinem Kopf tobte eine Kakophonie dissonanter Töne. Dann wohlige Dunkelheit, der Radau ebbte ab und machte leisen Liedfetzen platz, die aus weiter Ferne in mein Hirn drangen. Als schliefe ich in einer kleinen Hütte oben auf den Klippen und drunten in der Bucht wird unter bunten Laternen eine Strandparty gefeiert. Je nach Windrichtung ist die Melodie mal leiser, mal etwas lauter, doch nie so laut, dass ich das Lied erkennen könnte. Ich stelle mir vor, wie der böige Wind die Flammen des Lagerfeuers peitscht und sie in alle Richtungen peitscht und lodern lässt. Ich möchte aufstehen und hinuntergehen, doch meine Glieder folgen nicht meinem Willen. Der Traumanteil an meinem Bewusstsein ist noch zu groß, und nur langsam dämmert mir, dass es gar keine Bucht gibt und keine Hütte. Nur eine zehn Kilometer große weiße Murmel unter blauem Abendhimmel. Ein in der Zeit gefrorener Atompilz.


"Ich bin Malerin. Künstlerin", sagte eine Stimme nicht weit von mir, "jedenfalls war ich das einmal".

Ich wollte die Augen öffnen, doch meine Lider waren schwer wie LKWs. Vielleicht sollte ich schreien, überlegte ich, aber mir war nicht nach schreien. Schließlich tat mir nichts weh und kein Monster bedrohte mich. Also wozu unnötig Aufmerksamkeit erregen? Die Situation war sowohl ermüdend als auch unbefriedigend.

"Vielleicht ist meine Arbeit schuld daran, dass ich jetzt hier bin. Sie muss schuld daran sein. Was sonst könnte mich in diese Lage gebracht haben? Ich habe nichts Aussergewöhnliches getan ausser meiner Arbeit. Also, so viel ist klar. Hm"

Jetzt wollte ich aufstehen und Fragen stellen. Ich erinnerte mich. Der Liegestuhl auf der Murmel, die angeblich ein Atompilz war. Auf dem Liegestuhl die nackte Frau, der ich meine Jacke lieh und die ich Karla nennen durfte. Ich konnte murren. Mehr ein Knurren. Schreien, geschweige denn reden, konnte ich nicht. Ich konzentrierte mich auf meinen rechten kleinen Finger. Nein, lieber den Zeigefinger. Er bewegte sich. Dachte ich jedenfalls. Wozu sich eigentlich bewegen, wenn es ohnehin nichts zu tun gab? Ich beschloss, meine Anstrengungen aufzugeben und einfach abzuwarten, bis ich richtig und sozusagen von alleine, durch einen natürlich Lauf der Dinge, aufwachte.

Etwas stubbste mich in meine Seite. Es war weder unangenehm hart noch zärtlich weich. Aber es konnte stubbsen, und das gleich zweimal. Mein Traumbewusstein zerbarst wie eine Seifenblase im Ascheregen. Ich war wach, konnte meine Augen öffnen, meinen Kopf drehen, meine Hände bewegen.

"Na, endlich wach?", fragte sie.

"Hmm...mmm"

"Bist du irgendwie krank? Das hörte sich gar nicht gut an eben"

"Nein, ist alles in Ordnung, so wache ich immer auf. Wie lange habe ich geschlafen?"

Ich erinnerte mich, wie ich von dem Liegestuhl aufgestanden war und mich auf die mattweiße Zeitfläche, die den gefesselten Atompilz umschloss, gelegt hatte. Ich musste sofort eingeschlafen sein.

"Schwer zu sagen, höchstens fünf Minuten", sagte Karla achselzuckend.

Da ich immer noch auf dem Rücken lag, ließ ich erstmal den Abendhimmel auf mich wirken. Er war nun fast schwarz und mit meinen alten Bekannten übersät. Seltsam, dachte ich, die Dämmmerung scheint viel weiter fortgeschritten zu sein als nur fünf Minuten. Ich sah zu Karla hinauf. Sie hatte sich leicht vorgebeugt und fuhr mit ihren Händen massierend ihre Schienbeine auf und ab, fast wie in Trance. Ich sollte sie nach dem seltsamen Alten fragen, dachte ich bei mir. Und woher der Liegestuhl stammte, warum sie keine Kleidung trug ausser meiner Leihjacke und warum sie nicht primatenmäßig auf den Boden trommelnd umhertanzte ob der grandios absurden Situation, in der wir steckten. Dabei war alles so einfach. Unten der Atompilz, oben der Himmel. Dazwischen wir beide. Banaler ging es fast nicht mehr.


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