Samstag, 14. Februar 2009

Schlaflos im Februar

Vor vielen Jahren las ich in einer uralten Ausgabe von Reader´s Digest, wie jemand die Menschen in zwei Kategorien einteilte: Heizkörper und Abflussrohre. Die Begriffe erklären sich fast von selbst. War man mit einem Heizkörper zusammen, fühlt man sich hinterher warm und wohlig. Hatte man es dagegen mit einem Abflussrohr zu tun, sind die eigenen Energien abgeflossen, man fühlt sich nach dem Besuch leer und tranig.

Natürlich weiß ein Abflussrohr gar nicht, dass es ein Abflussrohr ist. Es hält sich in den allermeisten Fällen für einen strahlend weissen Heissluftradiator. Und seltsamerweise wissen die meisten Heizkörper nicht, wie wohlig man sich an ihnen wärmen kann und wie sehr man sich an ihrer Anwesenheit erfreut.

Heute hatte ich Besuch eines Abflussrohres.

Ich war guter Dinge, ein paar Gedanken zu Papier zu bringen, die mir vergangene Nacht in den Sinn kamen als ich nicht einschlafen konnte. Durch das Abflussrohr ist nun vieles entschwunden, davongegurgelt durch anstrengendes, unnützes Gerede. Ich muss graben.

Normalerweise habe ich keinerlei Schlafprobleme; sobald ich mich in die Horizontale begebe, falle ich in tiefen Schlummer. Leider tritt dieser Effekt auch beim fernsehen auf, und so ist es gar nicht mal so selten, dass ich frühmorgens gegen fünf auf meinem Sofa von barbusigen TV-Moderatorinnen geweckt werde. Das Ausschalten des Fernsehers ist dank Fernbedienung kein Problem. Die Hauptwillensanstrengung ist jedoch erforderlich, um mit den klamm verschwitzten Straßenjeans unter der Kuscheldecke hervorzukriechen, sich die Zähne zu putzen und sich für ein paar verbliebene kuschelige Stunden im richtigen Bett auszuziehen. Endlich unter einer richtigen Bettdecke liegend kann es dann aber durchaus bis zu einer halben Stunde dauern, bis ich erneut eingeschlafen bin.

Heute morgen war diese halbe Stunde rot. Oder besser rötlich. Abendrötlich. Wie das Rot der untergehenden Sonne, wenn sie knapp über dem Horizont steht und dieser Horizont sehr weit entfernt ist. Scheint die Sonne so ins Fenster, wirft ihr Licht sehr lange Schatten. Liegt ein Bleistift auf dem Tisch, so ist sein Schatten breiter als der Stift lang. Selbst äusserst flache Teller, wie man sie z.B. für Kuchen benutzt, sind innen unbeleuchtet und dunkel beschattet. Ein Stück Würfelzucker, verpackt noch in Papier mit aufgedrucktem Horoskop, wirft einen Schatten, der quer über den ganzen Durchmesser des runden Tisches in der Cafétería verläuft. Auf dem Tisch liegt mein Notizbuch, aufgeschlagen. Der waagrechte diffuse Lichteinfall verleiht dem cremefarbenen Papier eine samtige Oberfläche, hervorgerufen durch den Schattenwurf mikroskopisch kleiner Unebenheiten. Der rötliche Schein malt geometrische Flecken auf die den Fenstern gegenüberliegende Wand. Die Schatten sind diffus begrenzt, nicht scharfkantig, und liegen völlig ruhig. Es ist Winter, es gibt kein Laub, das draußen im Wind tanzen könnte, wenn Wind wehen würde. Kein Formenspiel wie spiegelnde und gaukelnde Wasserreflexionen, kein Rascheln und kein Brausen. Die Zeit ist zu einem Ende gekommen, und sie hat sich noch nicht entschieden, ob sie auch an einen neuen Anfang kommen wird. Doch die Chancen dafür stehen nicht schlecht.

Es ist still in der Cafétería, es sind sonst keine Gäste da. Die Bedienung macht eine Besorgung. Der Raum ist erfüllt von satter, roter Ruhe. Das Licht ist fast zu greifen, wie Honig umfliesst es Pfeiler, Tische und den Gelähmten. Seine Augen sind geschlossen, sein Schlaf lautlos.

In meiner schlaflosen halben Stunde heute morgen um fünf sprang ich aus der Cafétería hinaus auf eine grasbewachsene Anhöhe. Wieder war es abend, wieder war die Welt erfüllt von durchscheinendem rotem Samt. Diesmal wehte Wind, eine leichte Abendbrise. Es ist Sommer, die unbedeckte Haut schimmert rot vom Licht der untergehenden Sonne. Etwas flattert leicht im Wind. Es ist ausserhalb meiner Vorstellungsblase. Es könnte eine Art Wimpel sein, oder die Fransen eines Sonnenschirms, der tagsüber vor der Sonne schützte, nun aber aus schierem Beharrungswillen immer noch aufgespannt ist. Die Aussicht muss bemerkenswert sein, denn die Anhöhe ist markant und hoch. Ein Stuhl steht dort oben. Halb sitze ich dort, halb stelle ich mir alles von aussen vor. Eine zweite Person ist präsent, aber nicht körperlich anwesend, sie befindet sich nicht bildlich in meiner Vorstellung. Keine bestimmte Person. Oder doch? Mehr die Idee einer Person, fast im Platon´schen Sinne. Wasser, vielleicht der Bodensee. Ruhe. Weite. Das Rascheln und flattern des Windes. Im Abendrot.

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