Samstag, 17. Oktober 2009

Wolkenbäuche



Heute wieder mal unter einem gefährlichen Himmel gelaufen. Ein Saug- und Grappschhimmel, abendblau und wasserklar. Riesige Wolkenungetüme, dunkelgrau, zerklüftet, zernarbt, zerzaust, wälzten sich träge dahin. Dazwischen, dahinter, stahlblasse, kristallene Ferne, unbegrenzt, schweigsam. Die Lücken zwischen den Wolken waren groß genug, um hindurchzufallen, hinaufzufallen, wegzufallen, zu entschwinden, als schwarzer Punkt hoch im Niemandsraum. Für die, die unten stehen und bleiben und schauen.
Ich lief über knirschende Steine, wollte über eine Pfütze springen. Ich legte etwas zuviel Kraft in den Sprung, ich hob ab und trudelte nach oben, schräg und stetig, bis ich von unten an eine dicke graue Wolke dotzte, abprallte und wieder nach unten sank. Hinein in das Geäst einer einsamen Birke am Wegesrand. Darin war ein Rabennest, reflexhaft klammerte ich mich daran fest. Zwei große und zwei kleine Raben saßen darin.

"Seltsam", dachte ich bei mir, "die beiden Kleinen müssten doch längst erwachsen und flügge sein, um diese Jahreszeit."
Waren sie aber nicht. Stattdessen waren sie enorm hungrig.

"Ach wie schön", riefen sie, "Frühstück!"

"Wieso denn Frühstück?", keuchte ich. Ich war immer noch etwas atemlos. Zwar war ich die letzten paar Minuten nicht mehr gerannt, aber stattdessen hatte ich auf meinem Ausflug zu dem Wolkenbauch und wieder herab ziemlich wild mit Armen und Beinen gerudert, und etwas Panik war vermutlich auch noch dabei. "Es ist längst abend, die Sonne ist schon untergegangen!", protestierte ich. "Kein Mensch frühstückt zu so später Stunde."
Ich hatte noch nicht mal meinen Mund wieder zugemacht, als mir schon die Absurdität meiner Aussage bewusst wurde.

"Sehen wir vielleicht aus wie Menschen?", begehrte einer der beiden älteren Raben zu wissen.

Ich hub zu einer Antwort an, doch in demselben Moment pickten die kleinen Raben schon nach meinen Händen und rissen Haut- und Fleischfetzen davon ab, welche sie begierig und ruckartig verschlangen.

"Na, so ja nun auch wieder nicht", sagte ich eher zu mir selbst, ließ das Nest los und grabschte noch im Fallen nach den beiden kleinen Raben. Unten angekommen, klemmte ich mir einen unter den Arm, um eine Hand freizuhaben. Die stieß ich ihm dann tief in den Rachen und ließ sie dort. Mit dem zweiten Raben verfuhr ich ebenso. Meine Hände waren nun nicht mehr zu sehen, meine Arme endeten in dicken, schwarzen Federbüscheln, die zappelten und hampelten. So ausstaffiert lief ich den restlichen Weg bis nach Hause. Kein Mensch begegnete mir. Über Pfützen sprang ich nicht mehr.
Vor meiner Haustüre verweilte ich kurz und prüfte meine Hände, die immer noch in den Raben steckten, indem ich sie zu Fäusten ballte und wieder entspannte. Alles schien in Ordung. Ich ploppte die beiden Raben von meinen Händen, die wieder ganz verheilt waren. Ich schaute in ihre kleinen schwarzen Äuglein und überlegte mir eine intelligente Bemerkung, doch mir wollte keine einfallen. Also warf ich die Raben wort- und grußlos in den Himmel, wo sie laut schreiend davonstoben. Ich könnte schwören, sie haben gelacht.




1 Kommentar:

J. hat gesagt…

Das ist ja unglaublich, was du so alles erlebst...;-)