Donnerstag, 28. Juli 2011

Nächtlicher Besuch

"Schmales Löffelchen mein
schlüpfst in meinen Mund hinein
angetan mit süßem Honig
derweil droben im Gehirn
ein riesiger Balken schwebt
über altbekannter Landschaft."

"Weg!", schreie ich, noch im Halbschlaf versunken,
und vollführe eine wirsche Abwehrbewegung mit meinem
linken Arm. Der kleine Engel fliegt und flattert unkontrolliert
in die gegenüberliegende obere Zimmerecke und rutscht dann
langsam an der Wand hinab, ehe er sich wieder etwas fängt
und auf die Kommode hüpft.
"Du sollst das lassen!", füge ich noch hinzu und versuche
herauszufinden, wie spät es ist. Mein elektronischer Wecker
steht auf dem Kopf, bzw. auf seiner Vorderseite, damit sein helles
Display nachts keine Stechmücken anlockt. Ich lange mühsam nach
dem uralten Ding und drehe es so, dass ich die Anzeige lesen kann.
4 Uhr 13. Ich stelle den Wecker wieder auf den Kopf und schaue
zu dem Engel hinüber. Ich muss ein paar Mal blinzeln, bis ich meine
Augen scharf gestellt habe und in dem fahlen Zwielicht die kleine
Gestalt erkennen kann. Der Engel hat einen seiner Flügel vor seinen
kleinen Körper geklappt und dreht und biegt nun an einer unsichtbaren
Verstärkungsrippe herum.
Geschieht ihm recht, denke ich mir. Ich bin ratlos, wie ich ihm diese
Marotte austreiben soll, ohne ihm richtig weh zu tun. Seit einiger
Zeit nämlich hat er es sich zur Aufgabe gemacht, des nachts an
mein Bett zu schleichen um mir dann irgendwelche, vermutlich
selbst erfundene, Gedichte ins Ohr zu raunen. Ich wache dann auf
mit einem feuchtwarmen Ohr und erschrecke mich jedesmal fast
zu Tode.

Ich merke, dass die Luft im Zimmer trotz der offenen Balkontür nicht
die beste ist. Ja man könnte sogar sagen, es stinkt im Zimmer. Mir
schwant Böses. Ich beuge mich mit dem Oberkörper aus dem Bett nach
unten und schaue in die Düsternis unter meiner Schlafstatt, doch es
ist zu dunkel, ich kann nichts erkennen.

"Grmpfl, schrnch"

Als er sich bewegt, sehe ich den Zombie. Er hat kaum Platz in dem flachen Zwischenraum zwischen Fußboden und Lattenrost, doch das scheint ihn nicht weiter zu stören. Er liegt in Embryonalhaltung auf der Seite, sein baumelndes Auge ruht auf dem Fußboden. Soweit ich es erkennen kann, blickt es sogar in meine Richtung. Ich hoffe inständig, dass er nicht allzu viel Leichenflüssigkeit unter meinem Bett verliert. Ich richte mich wieder auf.

"Schaff dieses Ding hier raus!", rufe ich dem Engel auf der Kommode zu, "Du weißt, dass er im Haus nichts verloren hat!"

Ich bin einigermaßen erstaunt, als der Engel unverzüglich zu mir herüber-
flattert und zu dem Zombie unter das Bett kriecht. Nach einigem hin und
her und etwas Gerüttel und Geknurre kommen beide unter dem Bett hervor, der Engel bereits auf der Schulter des Zombies sich festklammernd. Schwankend wie ein Beduine auf einem sich erhebenden Kamel schwebt der Engel empor, sachte den Zombie an den Haaren ziehend. Schlurfend verlassen die beiden das Zimmer.

Ich liege wach und habe Durst. Ich weiß, auf dem Nachttisch neben dem Wecker steht das volle Wasserglas. Doch um es zu erreichen, müsste ich mich mindestens auf einen Ellbogen stützen und dann hinüberlangen. Eine Anstrengung, die genau bedacht und abgewogen sein will. Köstliches, kaltes Wasser. Wie angenehm es wäre, jetzt davon zu trinken. Wenn ich mich nur nicht bewegen müsste dafür. Wird es möglich sein, wieder einzuschlafen ohne den Durst gestillt zu haben? Ich könnte es zumindest versuchen. Nicht an plätscherndes Quellwasser denken. Nicht daran denken, wie das Wasser die trockene Kehle hinunterrinnen würde. Erneut schätze ich die Entfernung ab. Es führt kein Weg daran vorbei, ich werde mich halb aufrichten müssen. Ich könnte das Glas vielleicht im Liegen herüberholen, aber spätestens zum trinken müsste ich mich etwas aufrichten.

Während ich noch mein Hirn zermartere, ob ich nun trinken soll oder nicht, fliegt plötzlich die Zimmertür wieder auf. Im Rahmen steht der Zombie, der Engel immer noch auf seiner Schulter. In seiner Linken hält der Zombie meinen Putzeimer, in der Rechten einen Putzlappen. Wie ein geübter Kamelreiter schwankend und balancierend zwingt der Engel den Zombie auf die Knie, wobei ein nicht unbeträchtlicher Teil des Putzwassers aus dem Eimer schwappt. Ich seufze. Der Zombie nähert sich auf allen Vieren meinem Bett, wobei er den Eimer immer ein kleines Stück des Weges weiterschiebt. Es ruckelt, als der Zombie halb unter dem Bett verschwindet und anfängt zu putzen, immer angeleitet von dem Engel, der nun neben dem Bett steht.

"Ich habe solchen Durst", sage ich müde und schläfrig, doch mehr zu mir selbst denn als Aufforderung an irgendjemanden. Doch der Engel ist mit einem flatternden Hüpfer auf dem Bett, greift nach dem Wasserglas und hält es mir an die Lippen, wobei er mir sacht den Kopf stützt. Ich trinke fast das ganze Glas aus und hebe dann etwas die Hand. Der Engel versteht und stellt das Glas auf den Nachttisch zurück. Der Zombie ist fertig mit Leichensaftputzen, und beide verschwinden wieder durch die Tür in den noch dunklen Flur dahinter.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder, denke ich mir wohlig und schlummere wieder ein, wirren Träumen entgegen.



2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

gefällt mir sehr gut! Gruß mariee

Moves hat gesagt…

Vielen Dank!

Gruß, M.