Mittwoch, 31. Juli 2013

Reise



Das Gänseblümchen fühlte sich seltsam schwerelos. Die Wurzeln waren angenehm feucht und von guten Nährstoffen benetzt, und doch schienen sie keinen Halt zu bieten, kein Erdreich drückte wohlig gegen die fein verästelten Gefäße.
Es lauschte. Das bedrohliche, aber noch ferne Knarzen der Engerlingskiefer  war völlig verschwunden. Die Ruhe war vollkommen. Von irgendwo schien die Sonne, aber seltsam ungewohnt; schwach und stark zugleich. Schwach wegen der umfassenden Dunkelheit, durch welche das Licht zum Gänseblümchen drang, und stark wegen der groben Härte der wenigen Strahlen, die es dennoch auf das wertvolle Chlorophyll der grünen Blätter schafften. Die Sterne flimmerten und funkelten nicht, sie strahlten völlig unbeweglich. Etwas vermittelte den Eindruck von Geschwindigkeit, doch es war kein Wind. Fast unmerklich drehte sich das Firmament, veränderte sich die Perspektive. Es war nicht kalt, nur die Erde war veschwunden.

Etwas saß auf dem Kopf des Gänseblümchens und krallte sich fest. Ein leises Zittern war zu spüren, ein Frösteln wie von großer Angst. Das Gänseblümchen schaute nach oben und sagte zu dem bunten Schmetterling:

"Hab keine Angst, ich weiß genau, wo wir sind. Das da vorne muss der Asteroidengürtel sein, und der helle Stern, das ist die Sonne. Schau sie besser nicht direkt an, ihre Strahlen sind gefährlich hier draußen im Weltraum."

"Aber, wo ist denn die Erde, die Luft, der Regen? Wohin soll ich denn jetzt fliegen? Im Vakuum sind meine Flügel doch völlig nutzlos", wisperte der Schmetterling ängstlich.

"Keineswegs", sagte das Gänseblümchen, "deine Flügel sind die schönsten Flügel, die ich je gesehen habe. Ich freue mich, dass du bei mir bist. Und jetzt halt´ dich gut fest."

Der Schmetterling klammerte sich mit seinen sechs Beinchen fest an das mit dickem Blütenstaub bedeckte Köpfchen und entrollte sogar noch seinen langen Rüssel, um sich auch noch am Stengel des Gänseblümchens festzuhalten. Dann ging die Reise los, und die unbeweglichen Sterne wurden zu fliehenden Sternschnuppen.




Freitag, 26. Juli 2013

Es werde Bier

Namensuchmann schrie wie von Sinnen. Es war ihm selbst nicht klar, ob es Schreie des Entsetzens, des Erstaunens oder der reinen Freude waren. Nur eines war sicher: man konnte unmöglich stumm bleiben angesichts dessen was sich da abspielte. Zusätzlich zu den Schreien konnte man sich noch wahlweise mit beiden Händen an den Kopf hauen, mit Bocksprüngen im Kreis hüpfen oder sich auf den Rücken legen und mit Händen und Füßen auf den Boden trommeln. Nicht weit entfernt erspähte Namensuchmann einen Herrn im gediegenen Zweireiher, der sich auf Hände und Knie niedergeworfen hatte und angriffslustig bellte bis ihm der Sabber von den Lefzen troff. Etwas weiter entfernt, auf einer kleinen Anhöhe sah er eine Frau mittleren Alters rittlings auf der Lehne einer Parkbank sitzen. Sie rieb ihr Becken ekstatisch vor und zurück, hin und her, und johlte dabei unverständliche Worte in einem archaisch anmutenden Singsang.
 
Dann konnte Namensuchmann nicht anders als seinen Blick erneut auf die riesenhafte Biersäule zu richten, die sich kaum einhundert Meter vor ihm aus dem Erdboden erhob. Sie war zylindrisch und so breit, dass sie eher einer himmelshohen Bierwand glich denn einer Säule. Nur in der Ferne zur Linken und zur Rechten war die Krümmung zu erahnen. Der tosende Lärm war ohrenbetäubend, und der feine Sprühnebel der Biergischt zauberte bunt glitzernde Regenbogen an alle noch so unwahrscheinlichen Orte.

Die Biersäule veränderte zwar ihren Standort nicht, aber sie war alles andere als statisch. Mit rasender Geschwindigkeit schoß das Bier - ja, wohin eigentlich? Zuerst dachte Namensuchmann, das Bier würde vom Himmel herabschießen und irgendwie in der Erde verschwinden, denn es war kein oberirdischer Abfluss zu erkennen; wie ein Schneidstrahl aus Wasser, der in Styropor eindringt. Doch plötzlich, bei längerem Hinsehen, wurde das flimmernde Rasen plötzlich seltsam irregulär. Wie ein verschwommener Flugzeugpropeller mitten im Flug scheinbar seine Drehrichtung ändert, so schien die Biersäule in ihrer Raserei unmerklich ihre Fließrichtung zu ändern. Nun schoss das Bier nicht mehr aus dem Himmel herab in die Erde, sondern aus der Erde heraus in den Himmel hinauf. Auch die mäandernden Schaumfilamente auf der Säulenaussenseite wanderten mal nach oben, dann wieder nach unten.

Das infernalische Tosen und Brausen, zusammen mit dem feinen Duft nach Hopfen, rief in Namensuchmann eine Zufriedenheit hervor, die er noch nie zuvor gekannt hatte. Vielleicht wurde er aber nur müde vom schreien, verbunden mit einer leichten Überdosis an Sauerstoff. Er blickte nach oben. Aus allen Richtungen schienen sich Wolken der Biersäule zu nähern um dann in eine Kreisbahn um die Erscheinung einzuschwenken. Die Sonne stand schon sehr tief im Westen, bald würde der Vollmond im Osten aufgehen. Dumpfe Schläge tief in der Erde, die durch Namensuchmanns Beine bis in seine Magengrube vibrierten, kündeten von neuen Überraschungen.

Donnerstag, 25. Juli 2013

Es ist immer noch unwahrscheinlich


Ich schrieb ein Lied, doch anstatt zu erklingen ließ es sich auf einem Zweig nieder und schwieg zwölf Jahre. Aus dem Zweig wurde ein Ast und die Hülle ist nun leer. Ich hörte ein Rascheln wie von Schmetterlingen.


Mittwoch, 24. Juli 2013

Up!


Die Tage füllten sich einer nach dem anderen mit heisser Luft und erhoben sich in die Vergangenheit. Ganz Mutige, oder man könnte auch sagen, die ganz Tollkühnen hielten sich manchmal zu lange an den Halteseilen fest und blickten bald bestürzt nach unten, in tödliche Tiefen. Dann gab es nur noch eine Rettung: von Zeit zu Zeit stürzte sich ein Gleiter der Aliens von der Stratosphäre herunter, hielt das Seil fest und zwickte es oberhalb des verrückten Seilklammerers durch. Dann schwebte der Gleiter, im Idealfall, nach unten und setzte das Menschlein wieder in der Gegenwart ab. Manchmal, und tatsächlich gar nicht mal so selten, stieg der Gleiter nach der vermeintlichen Rettungsaktion jedoch senkrecht oder in Girlandenlinien weiter nach oben, viel schneller als der Tag selbst es tat und verschwand mit seiner Last im tiefen Blau des Quasiweltraums. Niemand dieser auf so geheimnisvolle Art Geretteten wurde jedoch jemals wieder gesehen, auch nicht als gefrorene, zerschmetterte Leiche.

Der Typ, der schließlich die ersten Festhaltehilfen für sportlich weniger Begabte erfand wurde Millionär. Mittels seiner Klammerhilfen konnten sich sogar Großmütterchen und Armamputierte an die Halteseile der Heißlufttage anheften und nach oben in die Vergangenheit tragen lassen oder in die verheißungsvolle Ungewissheit einer Existenz unter Aliens.




Montag, 15. Juli 2013

Schöne neue Welt

Das Flugabwehrgeschütz feuerte und streute angekokelte Patronenhülsen auf das herbstliche Blumenbeet wie Kümmel auf einen elsässischen Flammkuchen. Der Schütze trägt eine Coco Chanel-Umhängetasche und Adidas-Badeschlappen.
Blauer Himmel, blaue Stunde, Sterne, müde vom scheinen.

Ein Silvester später, oder eineinhalb, Zieharmonikamusik bis die Ohren bluten. Zähflüssige Zeit quillt über den Boden, man muss sich leicht dagegenstemmen um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ich lasse die leere Bierflasche fallen, mit dem Hals nach oben treibt sie in dem schimmernden Brei von mir weg, langsam schwankend und schaukelnd. Sterne, die müde sind vom scheinen.

Das Schmatzen von Füßen in nassen Schuhen lässt mich aufhorchen. Es ist ein Kind, das sich über das Hochwasser freut. Sauber und klar schwappt es über die Stufen, es besteht noch keine Gefahr. Schöne weite Welt. Ich träumte vom Half-Dome in Kalifornien und Cumuluswolken, auf unsichtbaren Luftschichten treibend. Überhängender Fels über tausend Meter hohen Abgründen schlürft Sehnsucht wie ein Bettelmönch seine Graupensuppe.

Und doch bin ich nicht darauf hereingefallen, ich ging sehenden Auges den Pfad des gehobenen Irrsinns und war zudem noch befremdlich erregt. Dann ruhte ich mich aus und sagte nichts. Jedes Wort wog tausend Tonnen an diesem seltsamen Ort, an dem die zeit Tango zu tanzen schien mit diesem Typ aus dem Zug nach Basel, der, obschon gut gekleidet, keinen Fahrschein zu besitzen schien. Die Scheibe des Zugabteils schmierig von meiner Stirn.

Die Sterne, müde es ewigen Scheinens, fallen einer nach dem anderen vom schwarzen Himmel und verglimmen zu meinen Füßen. Ich muss aufpassen nicht darauf zu treten und setze vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Manche Sterne liegen zu Kissen gehäuft oder zu kleinen Dünen zusammengeschoben von diesem klaren Nachtwind. Mir wird schwindelig von diesem vergehenden Glühen unter meinen Füßen, über mir ist nun alles dunkel und schwarz. Die Welt hat sich gedreht, die Dinge fliegen fort von hier.

Vom Himmel hoch segelte ein neuer Zombie knurrend und um sich schlagend an seinem Fallschirm am Balkon vorbei. Namensuchmann machte einen weiteren Strich auf seiner Liste und ging zurück in den Wohnraum mit dem riesigen Fernseher. Seit zwei Stunden lag der Nachrichtensprecher nun schon reglos auf seinem Tisch, doch niemand im Fernsehstudio schien sich darum zu kümmern. Niemand schaltete die Kamera aus oder zog den Stecker.

Namensuchmann nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und kehrte auf den Balkon zurück. Die Zombies an den Fallschirmen taumelten wie grunzende Riesenschneeflocken vom klaren Nachthimmel.


Mittwoch, 10. Juli 2013

Namensuchmann verschickt ein Paket



Die Segel waren fein säuberlich zu handlichen Paketen verpackt. Jahrelang waren die Winde der sieben Meere dagegen angestürmt, oder hatten sich wie verliebt in das grobe Leinen eingeschmiegt. Namensuchmann erinnerte sich genau, wie seine Hände nach Salzwasser gerochen hatten nachdem er die Segel fein säuberlich zusammengefaltet und mit den diversen Schutzhüllen umgeben hatte: Seide, Nylon, Kevlar und zuletzt mit Gold bedampftes Aluminium. Darüber befand sich dann nur noch die weisse Verkleidung der ziemlich klobigen, weißen letzten Stufe der Zubringerrakete. 
 
Er schaute über die Schulter. Die Gegenwart stand wie ein umgedrehter Vulkan direkt auf der kleinen Vorebene, wo einst das Haus gestanden hatte. Etwas schien aus der kopfüber stehenden Spitze hervorzusprudeln. Etwas, das anfing zu dampfen und zu qualmen wenn es mit normaler Atemluft in Kontakt zu kommen schien. Oben, wo sich die breite Basis der Gegenwart in den Wolken verlor, waren kleine, glitzernde Lichtpunkte zu sehen, die sich wie an einer Perlenkette aufgereiht um den monströsen Koloss wanden. Namensuchmann holte sein astronomisches Fernglas aus seinem Rucksack und betrachtete sich die Szenerie etwas genauer. Nun konnte er bunte Lampions erkennen, die dort oben, fast in der Stratossphäre, hingen und blinkten. 
Etwas vibrierte im Boden unter dem Startturm. Es war Zeit. Höchste Zeit. Namensuchmann schnallte sich seinen Basejumpfallschirm um, überprüfte die Gurte und Schlösser, und sprang in die Tiefe, weg vom Startturm. Hinter ihm erhob sich ein infernalisches Fauchen und Brüllen, das sich langsam erhob und in grollenden Donner überging. Die Rakete musste einen flacheren Bogen als normal fliegen, um der überhängenden Gegenwartsbasis hoch oben in den Wolken auszuweichen. Dann war nur noch ein rötlich schimmernder Feuerschein über den fedrigen Cirruswolken zu sehen. 

Die Segel werden sich gut machen, dort oben, auf dem Ozean unter dem pechschwarzen Himmel, dachte Namensuchmann, als er sich nach einem geeigneten Landeplatz weitab des Gegenwartsvulkans umsah.





Blindschleiche, Regenwurm verspeisend


Da es immer noch Menschen geben soll, denen ich nachfolgende Fotos noch nicht via FB oder Mail aufgedrängt habe, nachfolgend also eine kleine Kurzdoku über das Fressverhalten der gemeinen Blindschleiche. 

Normalerweise liegt es mir natürlich fern, jemanden beim Essen zu stören, im vorliegenden Falle musste ich die Schleiche aber vor der Sense retten.