Dienstag, 6. März 2012

Abspann



Erbarmungslos, Unforgiven, ist ein Western von und mit Clint Eastwood. Er hat den Film 1992 nicht nur produziert, sondern führte auch Regie und spielte die Hauptrolle. In den Kategorien Bester Film, beste Regie und beste männliche Nebenrolle gab es sogar Oscars. Natürlich wird in dem Film tüchtig geballert und gestorben, aber was ihn so ganz aussergewöhnlich macht sind nicht die Oscars oder die gebrochene Ironie des Westerngenres, sondern ein Moment absoluter Schönheit, ein Moment von
Satori.

Man sitzt und schaut, und plötzlich zieht sich alles glatt, die Gegenwart ist nicht länger eine faltige Verwerfung zwischen gestern und morgen. Die Enge unseres eindimensionalen Zeitstrahls weitet sich auf zu einer Ebene ohne besondere Richtung. Man kann sich hinlegen, egal wie, auch quer zu Zukunft oder Vergangenheit, man kann nach oben blicken oder unten, man kann an Abendrot denken und Wind und den Nachhall von etwas das heilig ist und duftend.
Dieser Moment der Schönheit findet sich allerdings erst im Abspann des Films. Im Kino dürften ihn die wenigsten bemerkt haben, und selbst ein gestandener Abspannsitzenbleiber wird ihn leicht verpassen inmitten der Mantelanzieher und Sitzreihendrängler. In mich kam dieser Moment erst nur langsam eingeschlichen, anfangs unbemerkt, und doch ahnte ich sofort, dass irgendetwas passiert sein musste, dass irgendetwas anders geworden war. Ein Gefühl unverstellter, reiner Leere, bar jeden Ballastes, bar jeder Störung, unendlich Platz bietend ohne Zwang zur Befüllung.

Zu sehen ist ein weiter Horizont unter einem wolkig-blauen Abendhimmel. Das letzte Licht des Tages hat sich zurückgezogen zu einem schmalen rötlichen Streifen über dem Horizont. Aus dem dunklen Vordergrund ragt scherenschnittartig ein altes, windschiefes Farmhaus in die Höhe, kaum mehr als ein Schuppen. Rechts dahinter, direkt dem Horizont entwachsend, ein kahler Baum und drei Grabsteine, vor denen eine aufrechte Gestalt steht. Es ist William Munny, ein gealterter und ehemals berüchtigter Revolverheld, der vor dem Grab seiner Frau steht.
Das Bild wäre völlig statisch, wäre da nicht die Wäsche, die an einer gespannten Leine hängend im Abendwind flattert. Abendwind! Die herrlichste Manifestation bewegter Luft. Normalerweise erlahmt die Kraft des Windes wenn die Sonne untergeht und ihre Wärmestrahlen keine Thermiken und Turbulenzen mehr erzeugen. Weht der Wind aber trotzdem weiter oder frischt sogar noch auf, dann weiß man, dass etwas ganz Besonderes im Gange sein muss. Dann heißt es hinausgehen und lauschen und etwas berühren das wichtig ist.

Musikalisch untermalt wird die Szene von einer einzigen Gitarre (Ukulele?), die nur ein paar wenige Griffe zu einer melancholischen Melodie arrangiert.

Dann plötzlich ist die Gestalt unter dem Baum verschwunden und mit ihr die Wäsche samt Wäscheleine. Es ist zu vermuten, dass William Munny nun unter der Erde liegt bei seiner Frau, und mit ihm ist jede Dynamik aus der Welt gewichen. Sie ist zu einem Stillleben geworden, einem Gemälde gefrorener Zeit. Da sich nichts menschliches mehr bewegt in dem Bild, weiß man nicht, wieviel Zeit bis zu diesem Stillstand vergangen ist. Es könnten Jahre sein, Jahrzehnte, doch das spielt keine Rolle. Das Jetzt wurde glattgestrichen, die Grenze zwischen gestern und morgen ist nicht mehr wichtig. Die Wäsche flatterte auf und ab wie die Kurve eines EEGs auf einem medizinischen Monitor. Dann bewegt sich nichts mehr, selbst das Licht des Abendrots scheint stehengeblieben zu sein. Einzig die vorsichtig angeschlagenen Saiten der Gitarre scheinen davon unberührt, sie nehmen keinerlei Notiz von der Veränderung. Aber das ist ja schon lange klar; Musik die trägt über alle Zeiten.

Ein paar Takte sind hier zu hören:


Der Ausschnitt ist leider arg kurz, dafür flattert die Wäsche schön im Wind.

Hier kann man etwas länger zuhören, allerdings nur bei Standbild:


(Bitte bei 0:30 abbrechen, da es danach in einem unerträglichen Maße künstlich aufgepeppt und verschmalzt wird)


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