Montag, 21. Dezember 2009

Mottenkiste (1994)



An die Nacht

Vorhin dem Universum ins Gesicht ge-
schaut. Ich bin mir nicht sicher, ob es
mich erkannt hat. Dabei habe ich mich
doch kaum verändert. Irgendwie kam es
mir vor, als sei es mit den Gedanken wo-
anders gewesen. Aber das war vielleicht
nur Einbildung. In der Warteschlange
immer dasselbe kleinliche Gezänk.
Noch zwölf Zeilen. Zwölf Geschworene.
Zwölf Apostel. Zwölf Finger. Nun sind
es nur noch zehn. In meinem Riesen-
hirn sind die winzigen Gedanken kaum aus-
zumachen. Verlorenes Glühen im Dunkeln.
Nachts, wenn man nicht aufpasst, sieht
man sie ziehen. Lautlos. Nur der Wind
ist etwas aufgeregt. So etwas sieht er
nicht alle Tage, will sagen: Nächte.
Unsicher berührt er mein Gesicht; fragend.
Hab keine Furcht, sage ich, ich bin bei
dir alle Tage, bis ans Ende der Zeit.



Samstag, 19. Dezember 2009

Kleckse


"Ich habe Hustensaft gesehen! Stell dir das mal vor. Hustensaft! Gekleckert zwar, auch verschmiert. Aber ohne Zweifel Hustensaft!"

"Ich bin mir nicht ganz sicher, was du mir damit sagen willst."

"Als Übersprungshandlung habe ich sofort danach Namensuchmann angerufen."

"Woher hast du seine Nummer?"

"Aus einem alten Telefonbuch, das ich zum Altpapier bringen wollte."

"Ach, interessant. Woher wußtest du, unter welchem Ort du nachsehen musstest?"

"Ich habe ja gar nicht nachgeschaut. Die Nummer stand auf einem kleinen Zettel, der aus dem Telefonbuch gefallen war. Direkt auf den Klecks aus verschmiertem Hustensaft."

"Da kam ja eines zum anderen."

"Ja, da sagst du was."

"Was hast du eigentlich zu ihm gesagt?"

"Zu wem?"

"Na, von wem reden wir denn hier?"

"Achso, eigentlich wollte ich dir aber von meinem Hustensafterlebnis berichten. Als ich mich nämlich bückte um ein wenig von dem Klecks zu schlecken..."

"Du hast doch gar keinen Husten. Tatsächlich habe ich dich überhaupt noch nie husten gehört."

"Das ist doch jetzt egal. Als ich mich nämlich bückte..."

"Wann hast du dich denn angeblich gebückt? Bevor oder nachdem du Namensuchmann angerufen hast?"

"Danach natürlich! Oder war´s doch davor? Hm... Und wieso `angeblich´? Glaubst du mir etwa nicht?"

"Das habe ich nicht gesagt. Es klingt nur alles so .... bizarr."

"Das hat Namensuchmann auch gesagt. Genaugenommen sagte er `seltsam´. Zudem schien er irgendwie ungehalten zu sein wegen der Störung."

"Wobei hast du ihn denn gestört?"

"Das wollte er mir nicht verraten. Dem Hintergrundgeräusch nach hätte man meinen können, er lässt gerade einen bengalischen Monsun auf seinem Rücken herumtrommeln; er war kaum zu verstehen."

"Schwere Regentropfen, die auf eine gewachste Baumwolljacke pladduzen hören sich immer sehr geheimnisvoll an. Als hätten sie etwas sehr Wichtiges mitzuteilen."

"Woher weißt denn du, dass Namensuchmann eine gewachste Baumwolljacke trägt? Verheimlichst du mir noch mehr?"

"Ich verheimliche gar nichts. Und du weißt - gar nichts. Weil du nämlich gar kein Gehirn hast, um überhaupt irgendwas zu wissen"

"Du auch nicht. Du hast auch kein Gehirn, nur mal so zur Info."

"Na und? Wenigstens tue ich nicht so, als hätte ich eines, und ich behaupte auch nicht ohne rot zu werden, dass ich mich nach irgendetwas bücken könnte."

"Spielverderber"

"Ich bin nur Realist. Man muss den Dingen ins Auge sehen. Wir werden uns niemals bücken."

"Seit du keinen Henkel mehr hast, bist du unausstehlich"

"Es ist die Marmelade. Sie fängt an zu schimmeln."

"Oh," schnupper "stimmt, es müffelt hier etwas"

"Es gehört verboten, alte Kaffeetassen als Marmeladeaufbewahrungsbehälter zu missbrauchen. Wir haben auch unseren Stolz!"

"Wo sich dein Henkel wohl jetzt gerade herumtreibt? Hat er was gesagt, als er abkrachte?"

"Dazu hatte er keine Zeit. Seinen erstaunten Ausdruck jedoch werde ich wohl niemals vergessen. Wie war´s heute in der Spülmaschine?"

"Langweilig. Jemand erzählte derbe Witze."

"Über Namensuchmann?"

"Über wen sonst?"

Montag, 14. Dezember 2009

Sonntag, 13. Dezember 2009

Dezembermoosung



Drei Grad unter Null, dazu eine frische, böige Brise aus Nordost. "Oberluft", nannte man das früher, diesen trockenen, eisigen Wind aus den russischen Weiten.
Ich freute mich aufs Laufen. Aber bloß nicht zu dick anziehen. Das körpereigene Heizkraftwerk möchte etwas zu tun haben.
Spaziergänger waren rar. Ich zog die Ärmel meiner Laufjacke nach vorn über meine Hände. Handschuhe sind ebenso wie dicke Socken überflüssig. Spätestens nach drei Kilometern glüht jegliche Extremität. Heute dauerte es etwas länger. Ich hatte eisige Finger. Doch rechtzeitig bevor ich meine Moosungstelle erreichte wurden sie warm, als hätte man einen Schalter umgelegt. Die einsame Hügelkuppe war eiswindumtost, doch mir war nicht kalt, im Gegenteil, trotz der dünnen Laufkleidung war mir schon wohlig warm geworden. Ich ging trotzdem über das kurze, braune Gras zur windabgewandten Seite, ohnehin meine Lieblingsstelle, zum Bergahorn. Das Moos unter seinen kahlen Ästen war kalt, aber trocken, also ein guter Isolator. Ich legte mich der Länge nach hin. Ich schaute nach oben, durch die Äste in den niedrigen, grauen Himmel. Das Moos hielt Winterruhe, nichts war zu vernehmen ausser einem leisen, fernen Rhythmus, fast eine Melodie. Der Ostwind brauste durch die Baumkrone, es war friedvoll und kalt.



Donnerstag, 10. Dezember 2009

Wellenförmiger Gedankengang




Dezembermoosung. Der Weihnachtsmann.
Frau Schubert. Todi. Coca Cola Mann.

JA - NEIN Todesgeburt

Ohne Mühsal aus der Türe treten
mühselig und beladen
die dünnen Linien erkennen
Mit Hast und Eile
Tiefe Wintersonne doch trotzdem
britzelnde Wärme auf der Haut

Hastig eilt die Wintersonne
duckend von Baum zu Baum
gähnt mich an, blinzelt,
hat keine Zeit , redet nicht.

Schrägen Blickes behalte ich die Schatten im Auge,
schleichend, fast schüchtern. Licht das wimmert
leise, hinter Schatten verborgen.

Licht und Schatten sind ein abgegriffenes Paar, Runzeln
quellen und wallen zwischen ihnen wie Spinnwebfäden
im Altweibersommer. Dann lieber mürber Mergel, der
unter Gehsteigen brütet, lebensfeindlich trocken, doch
träumend, von Stöckelabsätzen und Presslufthämmern.
Gedanken schwitzen aus Gullys und Asphaltritzen.

Auf dem Gehsteig kniet der Mann, der einen Namen
braucht. Gekrümmt, jedoch nicht in betender Ekstase,
die Stirn flach auf den nassen Teer gepresst. Fast ist
es ein Kauern, fast ein Protest. Doch nachts um Viertel
vor Zwei gibt es keine Adressaten, keine Zeugen, niemand
wundert sich. Eine Ratte schnüffelt sich in einiger Entfernung
vorsichtig vorbei, plötzlich jäh davonjagend, von etwas weg,
zu etwas hin, mutlos plötzlich, oder bloß nachtirre?

Der Mergel flüstert einen Namen
doch der Asphalt zu dick,
Mineralöl und Steine. Der Mann,
der einen Namen braucht, legt sein Ohr
auf den Gehsteig, als lauschte er einem
weit entfernten Dampfross.
Regen klopft auf seinen Rücken.
Der Regen morst einen Namen.
Es ist nicht der Name, den der Mann braucht.



Dienstag, 8. Dezember 2009

Mottenkiste (199?)

Entstehungszeit vermutlich frühe 90er)


Eine schlaflose Nacht

Ich versuche, aus einem riesigen Gedankenmeer
etwas Brauchbares herauszuangeln
das wert ist aufgeschrieben zu werden
aber was in der Tiefe der Nacht
funkelt und glitzert
wie das Auge einer liebestollen Elfe
entpuppt sich im Licht dieser
brutalen Glühbirne als ein schwarzer
Vogelschiss auf dem
Hochzeitskleid einer dämlich
in die Kamera grinsenden Braut
Und finde ich doch einmal etwas
das seinen Glanz behält auch
nachdem ich es in meine
dreckigen Hände genommen habe
dann kommt immer noch soviel
grünverschissener Unrat mit hoch
dass sich die Mühe nicht lohnt
Was sehe ich also?
Ich sehe eine Nacht, die sich vergeblich
dagegen wehrt, von der Zeit
in die Vergangenheit gestampft zu werden.

Keine Macht kann den Lauf der Zeit
zum Stillstand bringen
Denn die Zeit ist absolut
sie wird auch noch dem letzten Penner
des Universums im Nacken sitzen
und danach wird sie im Dunkeln lauern
auf dass sie wieder losschlagen kann
doch es wird nichts mehr geben
ausser ihrer grenzenlosen Einsamkeit
in selbstgemachter Ewigkeit