Dienstag, 13. Juli 2010

Wenns regnet



Es regnete. Und es war dunkel. Schon lange war kein Auto mehr vorbeigekommen auf der einsamen Landstraße. Es war ein ergiebiger Landregen. Wenn es wenigstens ein Gewitter gewesen wäre, dann hätte Namensuchmann zumindest schemenhaft erkennen können, ob er sich noch im Wald befand oder schon auf freiem Feld. Bäume waren jedenfalls in der Nähe, das hörte er eindeutig am verhaltenen Rauschen und dem charakteristischen Pladdern von Regen auf dickes, grünes Laub irgendwo schräg über ihm. Die gewachste Baumwolljacke war tatsächlich wasserdicht, Namensuchmann hatte den Kragen hochgeschlagen und eng unterm Kinn zugeknöpft. Sein Kopf war natürlich so nass, nasser ging es nicht mehr, kleine Sturzbäche kitzelten seine Stirn und seine Ohren. Auch die Füße bis hinauf zu den Knieen waren klatschnass. Beim Gehen gab es dieses typische, quietschende Geräusch von mit Wasser gefüllten Schuhen. Doch das Rauschen des Regens war lauter. Selbst die Dunkelheit schien auf seltsame Art zu rauschen und gegen Namensuchmann anzubranden.
Er ging fast mitten auf der Straße, das vermutete er jedenfalls. In dieser sockfinsteren Nacht war ein Autoscheinwerfer schon über Kilometer hinweg zu sehen, es bestand also keine Gefahr, von einem Wagen erfasst zu werden. Und Radfahrer, die unbeleuchtet nachts ebenso unbeleuchtete Fußgänger über den Haufen fuhren, waren bei einem solchen Irrsinnswetter bestimmt nicht unterwegs. Obwohl...Namensuchsmann drehte sich kurz um, ohne seine Schritte zu verlangsamen. Nein, da kam nichts. Er schritt weiter voran, die Hände in die Jackentaschen gestemmt.
Namensuchmann wusste später nicht mehr, was er zuerst vernommen hatte; den Lärm oder das Licht. Er sah sich um. Er sah sich so angestrengt um, dass er sogar vergaß, in welche Richtung er ursprünglich unterwegs gewesen war. Die Straße verlief topfeben, Kurven waren Namensuchmann nicht aufgefallen, da er mangels Sicht sowieso eher im Zickzack von Straßenrand zu Straßenrand gegangen war. Immer wieder hatte ihn sein Tritt urplötzlich in den grasigen Matsch des Straßengrabens geführt oder ihn mit der Leitplanke zusammenstoßen lassen. Dann stolperte er zurück in die Mitte der Straße, oder was er dafür hielt, und knatschte weiter durch die Nacht.
Doch nun war eindeutig Motorenlärm zu hören. Urtümlicher, röhrender Motorenlärm, an- und abschwellend Hügel und Täler verratend. Und mit dem Lärm kam das Licht. Weiße Flecken, die geisterhaft über die tiefhängenden Regenwolken huschten, dann kurz die obersten Kronenspitzen von Bäumen beleuchtend, die imposant neben der Straße standen. Dann wieder für kurze Momente ernüchternde Dunkelheit, ehe zwei weiße Kegel erneut hervorstachen und dichte Regenschauer durchdrangen.
Das Gefährt kam eindeutig näher, soviel war Namensuchmann klar. Er tastete sich Schritt für Schritt voran bis er den Matsch des Straßenrandes spürte und überlegte, wie er sich am besten hinstellen sollte. Schließlich wollte er zwar gesehen, aber nicht überfahren werden. Und nach dem Motorengeräusch zu urteilen pflegte der unbekannte Fahrer einen recht flotten Fahrstil, was bei diesen Sicht- und Straßenverhältnissen zumindest tollkühn zu nennen war.
Namensuchmann überlegte, ob er sich überhaupt bemerkbar machen sollte. Noch bestand die Möglichkeit, sich genügend weit von der Straße zu entfernen, um nicht in Lebensgefahr zu geraten. Andererseits war die Gesamtsituation alles andere als ermutigend. Namensuchmann wusste schlicht nicht mehr, wo er sich befand, wie oft er in den vergangenen zwei Stunden unbeabsichtigt wohl die Richtung gewechselt hatte und ob die Straße überhaupt irgendwo hinführte. Er schwor sich, bei nächster Gelegenheit den altersschwachen Akku seines Handys auszutauschen. Es war ertaunlich gewesen, wie schnell das Handy durch den mangelhaften Empfang die letzten Stromreserven aufgebraucht hatte, noch ehe eine Verbindung zustande gekommen war. Nun war das Display so stockfinster wie die umgebende Nacht. Namensuchsmanns klamme Finger hielten den kleinen Apparat trotzdem fest umklammert in seiner Jackentasche.
Es schien keine Leitplanke zu geben. Das war gut, dachte Namensuchmann, "dann kann ich mich notfalls mit einem Sprung in Sicherheit bringen".
Dann hatte er eine Idee. Sein kleines Diktiergerät müsste noch funktionieren. Er beschloss, aus der Situation das Beste zu machen und zumindest das brüllende Motorengeräusch aufzuzeichnen. Womöglich, wenn man es rückwärts abspielte...Er zog den Reissverschluss seiner Jacke auf und fingerte das kleine Ding aus der Innentasche hervor. Falls es allerdings nicht wasserdicht war, konnte es problematisch werden. Egal, dachte sich Namensuchmann, und drückte auf Aufnahme. Dann schob er das Gerät in eine einigermaßen gut geschützte Aussentasche der Jacke und begann wie ein Flugfeldlotse zu winken, denn ein gleissendes Scheinwerferpaar bog soeben um eine nicht weit entfernte Hügelkuppe. Zwei Lichtmesser schnitten horizontal durch Nacht und Regen und stürzten sich auf Namensuchmann.



(wird fortgesetzt)

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

wird hoffentlich bald fortgesetzt!

Moves hat gesagt…

Ich stehe quasi schon in den Startlöchern ;-)

M.