Montag, 21. Dezember 2009

Mottenkiste (1994)



An die Nacht

Vorhin dem Universum ins Gesicht ge-
schaut. Ich bin mir nicht sicher, ob es
mich erkannt hat. Dabei habe ich mich
doch kaum verändert. Irgendwie kam es
mir vor, als sei es mit den Gedanken wo-
anders gewesen. Aber das war vielleicht
nur Einbildung. In der Warteschlange
immer dasselbe kleinliche Gezänk.
Noch zwölf Zeilen. Zwölf Geschworene.
Zwölf Apostel. Zwölf Finger. Nun sind
es nur noch zehn. In meinem Riesen-
hirn sind die winzigen Gedanken kaum aus-
zumachen. Verlorenes Glühen im Dunkeln.
Nachts, wenn man nicht aufpasst, sieht
man sie ziehen. Lautlos. Nur der Wind
ist etwas aufgeregt. So etwas sieht er
nicht alle Tage, will sagen: Nächte.
Unsicher berührt er mein Gesicht; fragend.
Hab keine Furcht, sage ich, ich bin bei
dir alle Tage, bis ans Ende der Zeit.



1 Kommentar:

Dona Quijota hat gesagt…

"[..] Unsicher berührt er mein Gesicht; fragend.
Hab keine Furcht, sage ich, ich bin bei dir alle Tage, bis ans Ende der Zeit."

Liebe auf den ersten Blick. Tatsächlich, man kann sich in einen Text verlieben. In meinem biblischen Alter hatte ich gar nicht mehr damit gerechnet.