Freitag, 13. Mai 2011

Schnappschuss


Die Toten rannten wie ein Haufen aufgescheuchter Hühner die Hauptstraße hinunter. Ab und zu knallte einer gegen eine Straßenlaterne oder fiel über einen Reklameaufsteller, aber keiner blieb zurück. Wie ein organischer Tsunami wurden Pflanzkübel und falschgeparkte Autos umströmt. Das Geräusch, wenn einer der mürben Schädel einen Laternenmast traf, war, gelinde gesagt, gewöhnungsbedürftig. Ansonsten war nur diffuses Geschlurfe und eine Art Schaben zu hören, dazu ein seltsam angestrengt wirkendes, aber sehr leises Schnaufen. Als wollten die Toten sich die Anstrengung nicht anmerken lassen, aber das war natürlich reine Spekulation.

Die meisten Passanten hatten sich längst in Geschäfte geflüchtet, andere hingegen drückten sich in Hauseingänge oder auf die Lee-Seite von großen Autos. Die Toten kümmerten sich nicht um die Lebenden.

Einige der Toten verirrten sich nun in eine Seitenstraße, doch der Haupthaufen mäanderte unbeirrt weiter in Richtung Hauptbahnhof, wurde dann aber merklich langsamer. Immer mehr Tote bogen nun in die Seitenstraße ein, unsicher erst, dann immer forscher und schneller. Die Toten, die zu weit in Richtung des Bahnhofs vorangestürmt waren, kehrten nun um folgten den anderen in die Seitenstraße. Die war schmaler als die Hauptstraße, sodass einige der Toten an den Hauswänden entlanggeschabt wurden und die dortige Graffity fast unleserlich machten. Bald war der letzte Tote um die Ecke gebogen und die Straße lag wieder so ruhig und sauber da wie zuvor. Erste Passanten wagten sich wieder nach draußen und gingen wieder ihren Geschäften und Zielen entgegen, Ladenbesitzer stellten ihre Reklametafeln wieder auf.

Namensuchmann ließ die Videokamera sinken. Vom Fenster seiner Wohnung im dritten Stock hatte er den perfekten Überblick über den Totenhaufen, doch nun war keiner mehr zu sehen, die Seitenstraße lag nicht in seinem Blickfeld. Es war bereits die dritte Totenstampede, die er nun aufzeichnen und archivieren konnte. Vielleicht sollte er sie auf Youtube hochladen, dachte er. Doch dort wimmelte es bereits von entsprechendem Material. Es gab sogar schon Filme zu sehen, wie die Toten aus den Gräbern krochen. Ein solcher Coup war Namensuchmann noch nicht gelungen. Er fragte sich, was die Toten so plötzlich aus der Erde treiben mochte.


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