Freitag, 24. Juni 2011

Horrorjoggen


Heute brauchte ich für meine kurze Joggingstrecke statt 35 Minuten volle zwei Stunden. Na ja, eigentlich war ich ja gewarnt. Es war kurz vor Sonnenuntergang, blauer Himmel mit vereinzelten Alto- und Stratocumuluswolken, dazu eine leichte Westbrise, welche die Apfel- und Birnbäume an der Strecke zum Rascheln brachte. Der Hinweg in den Wald verlief noch ohne besondere Vorkommnisse, und im Wald selbst läuft es sich ja sowieso immer völlig undramatisch. Die hohen Bäume schlucken sowohl Licht wie Wind und schaffen eine immergleiche Atmosphäre der Kontinuität. Als ich jedoch auf dem Rückweg den Wald wieder verließ und nun in Richtung der untergehenden Sonne lief, erwischte es mich voll. Eine große dunkle Wolkenbank in Form einer Diddelmaus mit Kamelhöcker türmte sich im Westen auf, daneben ein rundes Wolkengebilde wie ein ausgefranster Fußball. Darüber fegten die Stratocumuli davon und wurden vom Wind über mich hinweggetrieben. Die Sonne hatte eine Lücke gefunden, durch welche sie ungehindert hindurchscheinen konnte, wobei sie die Ränder der dunklen Wolken gleissend hell erleuchtete. Der Wind zauste an meinem Laufshirt, das hohe Gras zu beiden Seiten der Strecke raschelte und wogte, und zu allem Überfluss zirpte sich eine ganze Armee von Grillenjunggesellen einen Wolf. Das war zuviel für mich, meine Schritte wurden immer langsamer und zögerlicher, bis ich völlig stillstand und mich mit offenem Mund gaffend langsam und taumelnd um mich selbst drehte. Bald fühlte ich diesen Ansturm pittoresken Postkartenkitsches wie eine Zentnerlast auf mich niedersinken, immer weiter wurde ich nach unten auf die glücklicherweise sehr wenig befahrene Straße gedrückt. Eine Windböe rauschte über mich hinweg, mein schweißnasses Gesicht kühlend.
Ich schleppte mich auf meinen Ellbogen voran, doch der Druck auf meine Beine war zu groß, sie scheuerten schmerzhaft über den Asphalt. Dann verschwand die Sonne hinter der Diddelmaus, und die Wolkenränder strahlten noch heller als zuvor. Dazu blitzten nun Lichtschwerter durch jede Lücke als versuchten sie, die vom Wind entführten Wolkenfetzen auf der Flucht aufzuspießen. Es war sinnlos, ich drehte mich auf den Rücken und keuchte unter dem Ansturm dieser Naturdramatik. Ein großer schwarzer Käfer auf seiner Reise über die Straße musste einen kleinen Umweg um meinen Kopf gehen. Der Asphalt war warm, der Himmel blau, und die Grillen spielten ihre Serenade.

Ein älteres Ehepaar kam trippelnd vorbei, sie mit Nordic-Walking-Stöcken ausgerüstet. Neugierig und mitfühlend sahen sie auf mich herunter, sie schienen von den Naturgewalten völlig unberührt. Der Wind versuchte kurz, sie etwas aufzurütteln und zwirbelte an ihren weissen Haaren, doch ohne Erfolg.

"Was ist mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?" fragte mich der ältere Herr.

"Verpisst euch, geht weiter!" konnte ich mit Mühe doch mit einigem Nachdruck hervorpressen.

Sie schauten sich erst entsetzt, dann empört an, dann musterten sie mich erneut und schüttelten ihre Köpfe.

"Haut endlich ab!" brüllte ich, und endlich schienen sie verstanden zu haben.

"Das kann man aber auch netter sagen!", meinte die ältere Dame im Weggehen, "man meint es ja nur gut."

Da musste ich ihr insgeheim sogar zustimmen, doch nach einer Entschuldigung war mir im Moment nicht zumute. Ich drehte mich wieder auf den Bauch und versuchte erneut, kriechend etwas Weg zurückzulegen, doch ohne Erfolg. Der Druck schien sogar noch zuzunehmen. Mein Kopf wurde auf die Straße gepresst und ich verlor das Bewusstsein.

Die Welt schaukelte hin und her. Die Dämmerung war fortgeschritten, der Himmel nicht mehr strahlend blau, sondern dunkel, fast schwarz. Etwas stank furchtbar. Ich befand mich nicht mehr auf der Straße. Ich blickte nach oben und sah über mir das eine Auge meines Zombies baumeln. Auf seinem Kopf saß der Engel und lenkte ihn mit sachtem Klopfen gegen die Schläfen. Ich drehte meinen Kopf etwas zur Seite, um zu sehen, wohin die Reise ging. Mein Zombie trug mich offensichtlich nach Hause. Unter dem regelmäßigen trapp-trapp seines eigentümlich ausladenden Laufstils sank ich in wohligen Schlaf.


2 Kommentare:

c17h19no3 hat gesagt…

das freundliche zombie-rikscha. :) nette story. und diddl-mäusen habe ich schon immer misstraut.

Moves hat gesagt…

ich scheute mich anfangs sogar, die Geschichte durch die Diddl-Erwähnung mit negativem Karma aufzuladen...doch dann gewann das Bestreben nach Authentizität die Oberhand. Schließlich konnte ich nichts dafür, dass die Wolke so aussah ;-)

M.