Freitag, 4. März 2011

Märzmoosung




Ich habe eine Joggingstrecke, die führt durch einen großen Wald. Auf der anderen Seite, auf freiem Feld, befindet sich eine kleine, grasbewachsene Anhöhe, zu der ein ausgefahrener Feldweg führt, vorbei an stoppeligen und umgebrochenen Äckern. Auf der Anhöhe steht ein Wasserpumphäuschen, das an drei Seiten und oben mit Erde angeschüttet und mit Gras und Moos bewachsen ist. Die ganze Szenerie erinnert frappierend an eine weibliche Brust mit einem bemoosten Nippel obenauf.
Vergangenen Dienstag war es wieder soweit. Das Wetter passte perfekt: wolkenloser Himmel, im Westen sank die Sonne ihrem Untergang entgegen, ein böiger, eiskalter Ostwind fegte über die Felder und pfiff durch die kahlen Bäume. Seltsamerweise war die Fernsicht trotz des Windes dunstig, unwirklich gedämpft und ergraut wartete die Welt.
Die Wegstrecke bis zur Anhöhe reicht normalerweise gerade aus, um mich auch bei unangenehm kalten Tagen ordentlich aufzuheizen. Doch als ich von zu Hause aufgebrochen war, pfiff der Wind frontal durch meine winddichte Joggingjacke und trieb mir die Tränen aus den Augenwinkeln. Ich war ziemlich sicher, dass ich bald würde umkehren müssen, ich hatte bei der Auswahl meiner Kleidung den Wind sträflich unterschätzt. Ich zog wie im Winter die Jackenärmel über meine Hände und lief etwas schneller, um den Puls zu erhöhen. Als ich endlich den Wald erreicht hatte und der Wind nachließ, spürte ich wie sich wohlige Wärme in mir ausbreitete. Auf der anderen Seite des Waldes, auf dem Wegstück zur Anhöhe, hatte ich Rückenwind, was ihn weit weniger beissend erscheinen ließ. Bald hatte ich die Anhöhe erreicht und lief über das kurze, braun-grau erfrorene Gras zu meinem Moosnippel hinauf. Seine südwestliche Seite war sonnenbeschienen. Ich legte meine Hand auf das grüne Moos mit den vereinzelten, kurzen Grasstummeln dazwischen. Es fühlte sich warm an. Ich legte mich auf den Rücken und streckte alle Viere von mir. Wegen des Gefälles schien mir auch im Liegen die untergehende Sonne noch wärmend ins Gesicht. Über mir breitete sich die kahle Baumkrone des Bergahorns aus. Und immer noch pfiff und toste der eisige Nordost, brachte die unbelaubten Äste zum tanzen. Doch ich lag windgeschützt und warm.
Ich spreizte die Finger meiner Hände und fühlte das warme Moos. Ich spürte auch winzig kleine Zweigfragmente des Bergahorns. Ich krümmte meine Finger und ließ sie in das Moos eindringen um zu erkunden, wie tief diese trockene Wärme in den Boden hinunterreichte. Ich musste etwas krabbeln, um mir Zugang zu verschaffen, doch schließlich, als meine Finger bis zum zweiten Knöchel eingedrungen waren, wurde es erst feucht und dann kühl.
Über mir jaulte der Eiswind im kahlen Geäst, ich lag auf dem warmen Moos, die Abendsonne schien mir ins Gesicht, und meine Finger spürten die wartende Kraft des Frühlings in der Erde.
Warum jemals weiterlaufen?
Natürlich, es war nicht von Dauer. Es würde nicht von Dauer sein. Die Kälte würde obsiegen, früher oder später. Würde durch das Moos kriechen und mich frösteln lassen. Der Zauber war kurz und kostbar, ich zog meine Finger aus der Erde hervor und nahm den Zauber und lief so schnell ich konnte.



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