Mittwoch, 20. April 2011

Wenn´s regnet (XII)



Die Welt bestand nun nicht mehr aus Dunkelheit und Rauschen, sondern aus Dunkelheit und leisem Rieseln. Und dem allgegenwärtigen, eine handbreit tiefen Ozean. Seltsamerweise vermochte Namensuchmann dem Wasser keine bestimmte Temperatur zuzuordnen. Es fühlte sich nicht unangenehm kalt an, war aber auch meilenweit davon entfernt, angenehm warm zu sein. Die nassen Klamotten allerdings, die Namensuchmann am Körper klebten und ihm um die Beine klatschten, waren sehr unangenehm. Genaugenommen wäre er ohne Kleidung besser dran gewesen, denn im Moment störte sie mehr als dass sie wärmte. Aber sollte es zu irgendeiner Konfrontation mit wem auch immer kommen, dann war es immer beruhigender, ein paar Sachen am Leibe zu tragen. Wer trat dem Unbekannten schon gerne in Unterhosen entgegen?

Nach etwa zwei Metern Kriechstrecke auf der neuentdeckten Abzweigung horchte Namensuchmann auf. Seine Ohren waren immer noch etwas brummig wegen des fast ohrenbetäubenden Rauschens des Regens, das nun diesem leisen Rieseln der dicken Schneeflocken gewichen war. Er drehte den Kopf zur Seite. Nun war es eindeutig. Das platschende und plumpsende Geräusch von Füßen, die durch flaches Wasser treten. Nicht sehr schnell allerdings, eher gemächlich. Das Geräusch kam näher.

Namensuchmann fühlte sich schon nach dem Fahrer rufen, doch es war lediglich der Wille dazu, ein erstes Klarmachen der Kehle nach langem Schweigen. Der Affe! Es könnte auch der Affe sein. Namensuchmann biss die Lippen zusammen, damit sie ja keinen Laut durchließen. Er kauerte sich auf die Linie, auf allen Vieren. Er würde es erfahren. Sehr bald. Sein Herz raste und pochte bis zum Hals. Er wusste nicht genau, warum er nicht einfach so schnell er konnte in die Dunkelheit hinauskroch, weg von diesen unheimlichen Schritten. Natürlich wäre das zu hören gewesen. Das leise Rieseln des Schnees war im Gegensatz zum lauten Rauschen des Regens nicht geeignet, selbst kleinste Platschgeräusche zu übertönen. Wer immer da hinter ihm herging, es war möglich, dass seine Anwesenheit noch unentdeckt war. Nur, was nützte das, wenn der verkappte Yeti über ihn stolperte?

Namensuchmann schwitzte und lauschte. Platsch platsch platsch... er versuchte, dem Geräusch eine Richtung zu geben, drehte seinen Kopf von einer Seite zur anderen. Es kam nicht näher, soviel schien ihm nun sicher. Es war zuerst zwar lauter geworden, doch dann blieb es konstant und veränderte nur leicht die Richtung, als ob das Wesen, oder die Person, im Kreis um ihn herumzugehen schien.
Nein, jetzt wurden die Schritte eindeutig wieder leiser. Sie entfernten sich. Namensuchmann versuchte, sich zu orientieren. Er befand sich auf einer Abzweigung der Linie, die vom Bentley in Richtung des Abgrundes führte. Die Schritte schienen genau jener Linie zu folgen, weg vom Bentley. Wenn Namensuchmann nicht die Abzweigung genommen hätte, sondern direkt zurück zum Auto gekrochen wäre, dann wäre ein Zusammentreffen unvermeidlich gewesen. Namensuchmann erschauerte bei dem Gedanken.

Der Abgrund! Wenn nun der Fahrer orientierungslos an ihm vorbeitorkelte und in den Abgrund stürzte? Er wollte rufen. Doch dann war plötzlich wieder das Bild da von dem riesigen Affen, der den Bentley durchsuchte. Affen gehen aber schneller. Auch in absoluter Dunkelheit? Bewegen sich Affen überhaupt fort, wenn es absolut dunkel und dazu noch klitschnass ist überall? Die Schrittgeschwindigkeit des unbekannten Wesens schien eher auf einen Menschen hinzudeuten. Doch worauf konnte man sich schon verlassen an einem solchen unmöglichen Ort?


Namensuchmann sagte nichts.

Der Schrei, der dann folgte, war nicht menschlich. Es war nur ein kurzer Schrei, ein Schrei aus Wut und Überraschung, und entschieden zu tierisch. Wasser wurde aufgepeitscht und aufgewühlt. Nach ein paar Momenten kamen sogar kleine Wellen bei Namensuchmann an. Nach zwei letzten Klatschern und einem gurgelnden Würgen war plötzlich alles vorbei. Nur der Schnee rieselte weiter vom Himmel, durch tintenschwarze Dunkelheit.

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