Freitag, 1. April 2011

Wenn´s regnet (XI)



Anstatt dem fast ohrenbetäubenden Prasseln und Rauschen des Regens war jetzt nur noch das leise Rascheln und Rieseln unzähliger dicker Schneeflocken die auf Wasser fielen zu hören. Nicht der zarteste Windhauch war zu spüren, und so war sich Namensuchmann nicht sicher, ob es mit dem Schneefall auch kühler geworden war. Er fächelte mit den Händen durch die Luft, um die Temperatur zu prüfen, doch war hinterher genauso schlau wie zuvor. Die einzelnen Flocken jedenfalls waren kalt. Eiskalt. Das knöchelhohe Wasser hingegen war lediglich kühl zu nennen. Bisher hatte Namensuchmann keinen Gedanken an die Wassertemperatur verschwendet. Ihn hatte weder gefröstelt noch war ihm warm. Nicht mal die nasse Kleidung empfand er als unangenehm kalt. Doch nun hatte es begonnen zu schneien. Wie lange mochte es dauern, bis es doch merklich kälter wurde und er anfangen würde zu bibbern und zu zittern? Es wäre sicher kein Fehler, aus dem Wasser rauszukommen. Da war immer noch der Bentley. Er hatte sicher ein Verdeck, das sich zuklappen ließ. Es böte zumindest Schutz vor dem nun sehr dicht fallenden Schnee. An ein trocknen der nassen Kleidung war natürlich nicht zu denken. Hatte das Ding überhaupt Seitenscheiben? Vielleicht war der große Affe doch das kleinere Übel.

Namensuchmann ließ sich auf alle viere nieder, hielt aber noch einen kleinen Moment inne. Seine Hände lagen links und rechts auf den Kanten der erhabenen Unterwasserlinie. Falls er nicht komplett die Orientierung verloren hatte in dieser absoluten und raschelnden Dunkelheit, dann "schaute" er jetzt in die Richtung, in welcher er nach etwa zehn Metern auf den Bentley treffen musste. Zwei Meter hinter ihm fiel der Noppenboden senkrecht ab, die Linie jedoch verlief noch einen Meter weiter hinaus, ehe sie endete. Und eine handbreit über allem die unermessliche Oberfläche dieses dunklen, ruhigen Meeres. Und keine
Lichterscheinungen mehr.

Langsam krabbelte er voran. Im Geiste bereitete sich Namensuchmann darauf vor, plötzlich in nasses Affenfell zu greifen. Immer wieder hielt er inne um zu lauschen. Nach platschenden Schritten, nach tierischem Atem oder Grunzern. Er hielt sogar einige Male seine Nase in die Höhe wie ein witterndes Reh. Doch kein Affengeruch. Nur der Duft nach frischem Schnee.

Nach etwa zwei Metern stießen die Finger seiner rechten Hand gegen ein Hindernis. Es war nicht hoch, reichte nicht aus dem Wasser heraus, und schien zudem aus demselben genoppten Gummibelag zu bestehen wie der ganze Untergrund inklusive der Linie selbst, auf der Namensuchmann vorankroch. In totaler Dunkelheit tastend gewann er bald ein Bild seiner Entdeckung. Es war eine Abzweigung, eine weitere Linie. Sie verlief in einem stumpfen Winkel nach rechts, also grob schräg in Fahrtrichtung des Bentleys. Namensuchmann erinnerte sich an seine ersten tastenden Bewegungen, nachdem er aus dem Auto ausgestiegen war. Es schien eine halbe Ewigkeit her zu sein. Da war diese andere Linie, die in spitzem Winkel an der Front des Bentleys vorbeiführte. Wenn sein räumliches Vorstellungsvermögen ihn nicht völlig im Stich ließ, mussten sich diese andere Linie und diese neue Abzweigung irgendwo vor dem Bentley treffen und somit ein Dreieck bilden. Ein Dreieck mit einem Stiel daran, der über den Abgrund hinausragte. Namensuchman beschloss, dieses neuentdeckte Koordinatensystem zu erforschen. Es bot die Möglichkeit, etwas zu tun, etwas zu suchen, zu krabbeln, ohne sich in absoluter Dunkelheit zu verirren. Er durfte nur die Linie nicht verlassen. Und er musste sich das Muster einprägen, um jederzeit zum Bentley zurückfinden zu können.
Der Bentley war sein Nullpunkt.
Namensuchmann kroch los.



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