Auf freundliche Anregung von Frau Schäufele nachfolgend also eine etwas alltäglichere Art und Weise, Marmelade einzukochen.
Hm...Mist...merke ich jetzt erst...ein Mensch vor dem Herd stehend ist es wieder nicht geworden....
..............................................und andere Lumineszenzen..............................................
Mittwoch, 31. August 2011
Sonntag, 28. August 2011
Sonntagabend
Mein Joggingwald hat einen sehr dichten Waldrand. Der Feldweg, der zum Waldweg wird, führt geradewegs hinein wie ein Tunnel in eine Bergwand. Zu Spätsommer- und Frühherbstzeiten geht die Sonne exakt so unter, dass sie knapp über dem Horizont stehend diesen grünen, schweigsamen Tunnel der Länge nach ausleuchtet mit ihrem rotgoldenen Abendlicht. Laufe ich hinein, eilt mein dutzende Meter langer Schatten mir voraus.
Ich war heute schon auf dem Rückweg, meine Augen waren weit und dem Dunkel des Waldes geöffnet. Ich bog um eine letzte Kurve, als mich die tiefstehende Sonne frontal traf, obwohl ich noch hundert Meter tief im Wald war. Das Licht flutete fast lärmend gegen mich an. Sofort spürte ich den physischen Widerstand. Hinter mir schlug mein kämpfender Schatten feurige Lichtschwerter in die Dunkelheit. Ich hatte keine Chance, das Licht war stärker, ich lief auf der Stelle. Doch nur kurz. Denn sogleich fing die Erde an, sich unter meinen Füßen durchzudrehen wie das Laufband eines Heimtrainers. Auf diese Weise kam ich nun doch voran, obwohl ich de facto stillstand im Licht. Das Maisfeld wanderte gleichförmig an mir vorüber, dann die alten Obstbäume am Rande der Straße. Die Schafe in der Koppel konzentrierten sich, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren in der plötzlich veränderten Erddrehung. Ich fragte mich, ob ich nicht einfach stillstehen sollte und warten, bis die Sonne untergegangen wäre. Doch da kam schon mein Haus und mein Balkon in Sicht. Auf dem Balkon stand der Zombie, mein Engel auf seinem Kopf. Unter Anleitung des Geflügelten streckte der Zombie mir seinen Arm entgegen, der aufgrund der Fäulnis bedeutend länger war als ein normaler menschlicher Arm. So konnte ich ihn problemlos greifen, als der Balkon, das Haus und alles an mir vorüberzog. Ich schwang mich hoch, halb von dem Zombie gezogen, halb mit dem Schwung meines Laufes, und kurz beglückwünschten wir uns zu unserem Husarenstück. Ich war zu Hause, bewegte mich nicht mehr, die Erde ging wieder ihren gewohnten Gang.
Sonntagmorgen
Mein Engel zieht ein seltsam gewirktes Gewebe von meinem Gesicht. Es ist nicht genau erkennbar wo es endet und wo es anfängt. Trotzdem beginnt er, es gewissenhaft zusammenzufalten. Doch erst, als er das schimmernde Päckchen unter seinem Gewand verschwinden lässt bemerke ich, dass es anscheinend aus demselben Stoff gewebt wurde.
Ich blinzele mit meinen Augen. Der Schwarm winziger Begebenheiten, eigentlich mehr eine Wolke aus glitzernden Momenten, kreist und schwebt über meinem Bett. Manchmal torkelt ein Teilchen aus der Wolke und fällt geruhsam und in der Morgensonne blinkend auf mein Gesicht, wo es sich sogleich auflöst wie ein Rauhreifkörnchen auf der Zunge. Je mehr dieser Teilchen auf mich herabschweben, desto mehr fühlen sie sich wie Sonntagmorgen an. Draußen blauer Himmel.
Ich höre leises Motorengebrumm. Weit entfernt, weit oben. Viel näher raschelt der kühle Morgenwind in den Blättern. Die Welt gleisst und schimmert. Licht und Wind durchdringen sich ungehindert. Ich könnte hinausgehen und mich dem in den Weg stellen, oder mich am Durchdringen beteiligen. Das Licht spüren, das mein Innerstes durchquert und dabei daran denken, dass Photonen keine Zeit kennen. In der Nacht sah ich hoch am Osthimmel Jupiter. Sog sein Licht in mich auf, das von einer Sonne kam, die tief unter mir auf der anderen Seite der Erde stand. Doch blickt man in den Nachthimmel, dringen auch Photonen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle auf die Netzhaut. Man sieht sie nicht, und doch finden sie ihren Weg durch das Auge in unseren Körper. Lichtteilchen, die seit dem Urknall durch Raum und Zeit reisten und nun als Energiequanten in meinem Körper schimmern, aber nur für Engelsaugen.
Mein Engel sitzt jetzt am Fußende auf meinem Bett und blickt versonnen nach oben in die glitzernde Wolke. Ich könnte ihn jetzt anfassen, denke ich, unternehme aber keinerlei Anstrengung, dem Gedanken eine Tat folgen zu lassen. Es ist Sonntagmorgen und die Welt ruht gleissend und gedankendurchwebt im Herbstlicht. Wieder entferntes Motorengebrumm hoch am Himmel. Es stört nicht, es steckt lediglich Entfernungen ab, die auf mich herniedersinken wie ein abgeschnittenes weiches Band, sich zu endlosen Schlingen und Biegungen auffaltend.
Ich sollte aufstehen und den Entenstall öffnen. Schranze und Marie warten bestimmt schon ungeduldig unter ihren eigenen Augenblickswolken. Im Widerschein ihrer stets lächelnden Gesichter die blinkend niedersinkenden Ausreisserteilchen, wie winzige silberne Spiegelchen Strahl für Strahl verschickend. Ich bewege unter der Bettdecke meinen Fuß. Mein Engel senkt langsam seinen Blick und schaut nun zu mir mit seiner undeutbaren Miene. Er scheint zu warten. Ich hebe etwas meinen Kopf und schnüffle unauffällig in der Luft. Es riecht leicht nach den violetten Distelblüten, über die sich die Hummeln hermachen hinterm Haus. Ich vermute daher, auch Hummelhintern duften nach Distelblüten.
Freitag, 19. August 2011
Zeppelin über Berlin
Im Fernsehen lief kürzlich ein Bericht über die Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg, einem Stadtteil von Berlin. Da ich dort einmal sechs Wochen wohnte und es mir sehr gut gefallen hat, ließ ich mir die Sendung natürlich nicht entgehen. Die vertrauten Bilder der verschiedenen U-Bahnstationen wie zum Beispiel die Eberswalder Straße weckten sogleich wahre Schübe von Fernweh, das sich jedoch wie Heimweh anfühlte.
Irgendwann wurde ein kleiner Friseurladen portraitiert und der Inhaber erzählte allerlei skurile Geschichten von seinen bunten Stammgästen. Fast zerrissen vor Lachen und Vergnügen hat es mich, als er von einem alten Herrn erzählte, der aber leider schon verstorben war. Dieser hatte in den dreißiger Jahren schon in Berlin gewohnt und sah regelmäßig die großen Luftschiffe des Grafen Zeppelin einschweben.
"Das war sicher ein sehr beeindruckender Anblick", hatte der Friseur bemerkt.
"Ja, das kann man wohl sagen", habe daraufhin der alte Herr gesagt, "wenn es bloß nicht immer so gestunken hätte!"
"Wie...gestunken?", hatte der Friseur verblüfft gefragt, "Die Zeppeline haben doch nicht gestunken?"
"Nein, die natürlich nicht", rief darauf der alte Herr, "aber die Weiber rannten immer alle aus den Häusern zum Gucken und ließen das Essen anbrennen!"
Manchmal stösst man auf eine kleine Fußnote der Geschichte, die man niemals erfinden könnte.
Mittwoch, 17. August 2011
Das Leben eines Regenwurms
Auch wenn man ein vierzehn Jahre altes Auto fährt ist man doch einigermaßen angefressen, wenn es dann doch mal eine Panne hat. Obwohl man ja eigentlich damit rechnen muss. Irgendwann ist es immer soweit. Ärgerlich und zum Haare raufen wird es aber erst, wenn man feststellen muss, dass der Fehler sich bei korrekter und gewissenhafter Wartung hätte vermeiden lassen. Glück im Unglück ist es hingegen, wenn die Panne in der Nähe der Heimatbastion passiert und man das gute alte Stück zu vertretbaren Kosten zu sich nach Hause holen lassen kann und man mit etwas Hilfe die Sache vermutlich selber wird reparieren können.
Wie dem auch sei, zur Zeit ist also das Fahrrad mein Hauptverkehrs- und Transportmittel. Ich muss meinem Kaff zugute halten, dass es mit zwei Lebensmittelläden, einer Bäckerei, einer Metzgerei, einer Apotheke und einem Schlecker recht gut aufgestellt ist. Die nächste öffentliche Bibliothek ist allerdings in der nächsten Stadt, und die ist nicht nur 6 Kilometer entfernt, sondern liegt auch 100 Meter tiefer; was den Rückweg nach Hause nicht gerade zu einer Spazierfahrt macht. Trotzdem schaffe ich ihn mittlerweile in knappen 20 Minuten.
Gestern war so ein Bibliotheksausflug, ich saß in der Zeitschriftenabteilung und las das neue Cinema, ein Magazin für Film- und Kinofreunde. Darin wurde ein Film besprochen, dessen Thema, oder besser, dessen Intention, mich sofort gefangen nahm. Er wurde nach dem Roman eines zeitgenössischen italienischen Autors gedreht. Ich schaute auf die Uhr und verließ die Bibliothek. Zum Buchladen war es nicht weit, ich schloss trotzdem mein Fahrrad auf und fuhr die kurze Strecke. Doch das Geschäft hatte bereits um halb sieben zugemacht. Ich radelte die sechs Kilometer und 100 Höhenmeter (netto) nach Hause.
Am nächsten Morgen, d.h. heute, rief ich im Buchladen an und fragte, ob das Buch vorrätig sei. Ja, sie würden es mir zurücklegen. Am späteren Nachmittag schwang ich mich wieder auf mein Fahrrad und fuhr sechs Kilometer und 100 Höhenmeter zum Buchladen. An der Theke nannte ich den Titel des zurückgelegten Buches, woraufhin eine Verkäuferin fast wehmütig seufzte: "Ach, das möchte ich auch unbedingt noch lesen!"
Ich packte meine Beute ein und überlegte. Es war einer jener seltenen weil brütendheissen Sommertage, die Hitze stand in den Gassen. Ich musste unbedingt noch etwas trinken, ehe ich die sechs Kilometer und 100 Höhenmeter (netto) wieder in Angriff nahm.
Nicht weit von der Buchhandlung entfernt befindet sich ein Café mit Aussenbewirtung unter großen alten Kastanienbäumen. Ich setzte mich an einen freien Tisch, bestellte mir ein großes Radler, holte mein Buch aus dem Rucksack und begann zu lesen.
Bald schob sich eine alte Frau mit ihrem Rollator zwischen den Tischen hindurch. Sie hielt auf einen älteren Herrn zu, der alleine an einem Tisch saß und fragte ihn wortreich, ob noch ein Platz frei wäre. Der ältere Herr mochte gut 70 Jahre alt sein, doch die Frau war bestimmt nochmal 20 Jahre älter. Sie trug ein bunt geblümtes Kleid. An ihrem Rollator war ein Gerät befestigt, von wo ein dünner durchsichtiger Sauerstoffschlauch zur Nase der Frau führte. Sie kam mir bekannt vor. Ich schaute genauer hin. Ja, ich kannte sie.
Frau Pluskat war eine Bewohnerin des Altenheimes gewesen, in dem auch mein Vater lag bis zu seinem Tod. Sie saß oft alleine in der Caféteria, so dass ich mich manchmal zu ihr setzte, wenn ich meinen Besuch bei meinem Vater beendet hatte. Sie klagte mir oft ihr Leid mit den Pflegekräften und war dann stets dem Weinen nahe. Allerdings war ich selbst mit dem Personal des Altenheimes und der Behandlung meines Vaters immer sehr zufrieden. Doch ich sah keinen Sinn darin, Frau Pluskat in eine Diskussion über moderne, d.h., an der Grenze menschlicher Physis entlangschrammende Pflege zu verwickeln. Ich hörte ihr zu und hielt auch manchmal ihre Hand.
Irgendwann war sie nicht mehr an ihrem Stammplatz und ich erkundigte mich nach ihrem Verbleib. Mir wurde der Name einer weit entfernten Stadt genannt, den ich aber wieder vergaß. Dorthin sei sie umgezogen.
Ich war also etwas überrascht, als ich Frau Pluskat heute in dem Café erkannte. Nachdem ich mein Radler ausgetrunken und bezahlt hatte, ging ich zu ihr hinüber und setzt mich zu ihr an den Tisch. Sie erkannte mich gleich wieder. Wie sich herausstellte, war sie lediglich in ein anderes Altersheim einen Kilometer weiter umgezogen, doch dort gefiel es ihr auch nicht. Nach zehn Minuten verabschiedete ich mich, ging zu meinem Fahrrad, schloss es auf und radelte nach Hause.
Etwa zwei Kilometer vor meiner Haustür bemerkte ich vor mir auf dem Radweg, etwas links von der Mitte, eine kleine braune Eidechse. Es wäre alles gut gegangen, wenn sie ruhig sitzengeblieben wäre. Aber etwa einen Meter vor mir spurtete sie plötzlich los und rannte mir unter das Fahrrad. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich sie erwischt hatte. Im selben Augenblick vernahm ich ein deutliches, rhythmisches Zischen. Ich befand mich neben einer Sägerei und dachte, vermutlich entlüftet ein LKW seine Bremsen. Aber nach etwa 20 Metern war klar, dass das Zischen aus dem Hinterreifen meines Fahrrades kam. Ich hatte einen Platten. Die Sonne brannte herunter und ich war ziemlich enttäuscht vom Weltgeist. Ich sparte mir den Weg zurück zu der Eidechse angesichts der zwei Kilometer Fußmarsch, die noch vor mir lagen. Nach etwa einem Kilometer ringelte sich vor mir auf dem Gehweg ein Regenwurm in geradezu ekstatischen Zuckungen. In der Hitze hätte er keine zehn Minuten mehr durchgehalten. Ich hob ihn auf und trug ihn zu einem sehr grünen, sehr dichten und feuchten Gebüsch.
Auf dem weiteren Heimweg rekapitulierte ich die ganze Geschichte. Die Autopanne vor zwei Wochen, weswegen ich überhaupt mit dem Fahrrad in die Stadt fuhr. Mein Blick in das Kinomagazin, die Entdeckung des Films und des Romans, der geschlossene Buchladen, weswegen ich am nächsten Tag nochmals hinfuhr. Mein Durst, das Radler und Frau Pluskat sorgten für die nötige Verzögerung und das genaue Timing. Die Eidechse und das gleichzeitige zischende Entweichen der Luft aus dem Reifen. Dann, zehn Minuten später, der Regenwurm, den ich vor dem Austrocknen rettete.
Manchmal sind die Dinge einfach nur so kompliziert wie unbedingt nötig.
Dienstag, 16. August 2011
Sonntag, 14. August 2011
Draußen an der Bar
An spärlich beleuchteten Bartresen nachts um halb zwei erlebt man die seltsamsten Geschichten. Man geht in die Bar, stellt sich an den Tresen und bestellt ein Getränk, das möglichst kein Bier und kein Mineralwasser sein sollte. Sodann dreht sich eine blendend doch traurig aussehende Frau zu einem um und fragt nach Feuer oder ob man sie mal kurz oben zwischen den Schulterblättern massieren würde, sie habe da so eine tiefsitzende nervige Verspannung seit sie ihren langjährigen Freund letzte nacht vor die Tür setzte. Man geht dann mit ihr raus vor die Türe zum Rauchen obwohl man vor zwanzig Jahren zum letzten Mal eine Zigarette zwischen den Lippen hatte. Und während man so dasteht und über die Relativitätstheorie plaudert dreht sie sich in ihrem rückenfreien Cocktailkleid um und weist mit ihrer freien Hand auf eine bezaubernde Stelle zwischen Wirbelsäule und linkem Schulterblatt.
"Da ist es besonders schlimm. Muss wohl eine Verspannung sein. Könnten Sie vielleicht...?"
Hier auf dem Lande gibt es natürlich keine Bars, die bis um halb zwei in der Nacht geöffnet haben, geschweige denn blendend aber traurig aussehende Frauen, die in rückenfreien Cocktailkleidern am Tresen sitzen und massiert werden wollen. Allerdings ist es schon nach Mitternacht. Die Zeit zumindest verläuft hier großstädtisch. Am Bach unten steht eine große Pappel mit einem mörderdicken Stamm. Den könnte ich mir als Bartresen vorstellen, wenn ich ihn mir in Gedanken in die Horizontale drehe und virtuell gleich noch ein wenig poliere. Ich stapfe den Hang hinunter, in der Dunkelheit kann ich die Brennnesseln nicht erkennen und verbrenne mir Hände und Knöchel. Lässig lehne ich mich an den alten Baum und denke mir ein Cocktailglas dazu. Oben raschelt leise das Laub im Nachtwind, aber ich bilde mir einfach ein, es wären die monotonen Rhythmen eines angesagten House-DJs. Ich wippe sogar etwas mit meinem linken Fuß. Eine blendend aussehende aber traurige Frau ist leider noch nicht zu sehen. Ich tätschle etwas den Stamm und blicke mich souverän um, doch es ist niemand da, der getröstet oder massiert werden möchte.
Im Mondlicht bewegt sich ein kleiner Schatten über die Rinde. Ich nehme mein Handy und beleuchte die Stelle mit dem Display. Es ist eine Baumwanze, die von hoch oben heruntergekrabbelt kommt. Sie sieht mich und schaut erschrocken drein.
"Hey, keine Sorge, ich habe es auf blendend gut aussehende trübsinnige Frauen abgesehen, nicht auf harmlose Baumwanzen", sage ich.
"Da bin ich aber beruhigt", sagt die Baumwanze und hält erst einmal inne. Sie scheint gar nicht unfroh darüber zu sein, ihren Abstieg den Baumstamm hinunter unterbrechen zu können. Ich bewundere ihren imposanten Rücken- und Schulterpanzer. Er sieht genau so aus wie damals bei Biene Maya. Was mich auf einen Gedanken bringt.
"Sag mal", sage ich zu ihr und versuche, ziemlich lässig dreinzublicken, "fangt ihr wirklich immer an zu stinken, wenn ihr euch ärgert?"
Kaum hatte ich das letzte Wort ausgesprochen, ging das Display meines Handys aus und nur der silbrige Schein des Mondes erleuchtete noch matt den massigen Baumstamm mit dem kleinen dunklen Knubbel darauf.
"Ja, natürlich", antwortete die Baumwanze, "das ist ein völlig natürlicher und keinesfalls ehrenrühriger Vorgang. Er dient dazu, unser Leben zu verlängern, wenn du verstehst, was ich meine".
"A propos Leben", sagte ich, "seid ihr Baumwanzen nicht tagaktive Tiere? Was krabbelst du jetzt mitten in der Nacht auf diesem Pappelstamm herum?"
Die Baumwanze tat so, als hätte sie die Frage nicht gehört. Sie musterte interessiert die nächste Wegstrecke, die noch vor bzw. unter ihr lag. Die Rinde war sehr dick und furchig. Für so ein kleines Wesen musste der Weg den Stamm hinunter äusserst mühsam sein.
"Warum benutzt du nicht deine Flügel? Ihr könnt doch fliegen, wenn ihr wollt", versuchte ich es mit einer anderen Frage. Doch auch sie wurde von der Baumwanze überhört. Ob absichtlich oder aus schierer Gedankenlosigkeit vermochte ich nicht zu sagen. Ein wenig angenervt war ich allerdings schon von so viel Unhöflichkeit oder Unaufmerksamkeit. Während ich überlegte, ob ich mir dieses Verhalten bieten lassen sollte, schaute ich mich interessiert um und wippte mit dem Fuß. Natürlich sah ich nichts. Es war stockfinster. Das silbrige Mondlicht schaffte es gerade noch so auf den Pappelstamm, aber nicht mehr bis in das Gebüsch um den Stamm herum. Na ja, dachte ich mir, in den Bars ist es ja auch immer ziemlich duster.
"Wieso trübsinnig?", fragte die Baumwanze unvermittelt.
"Was?"
"Wieso bist du auf der Suche nach einer trübsinnigen Frau?"
"Achso, nein, das sagte ich doch nur so. Ich meinte eigentlich eher melancholisch. In diesen Filmen, wenn nachts ein Mann einen trinken geht, dann sitzt da meistens eine Frau an der Bar, die nicht sehr glücklich dreinschaut und dann von dem Mann getröstet wird."
"Aha", sagte die Baumwanze, "und sind wir hier in einer Bar?"
Ich schaute mich unwillkürlich um. Nein, es war natürlich keine Bar. Ich lehnte mitten in der Nacht in vermutlich zeckenverseuchtem Gestrüpp an einem Baum und wartete auf eine melancholische Frau die sich von mir trösten ließ. Aber diesmal war ich es, der eine Frage einfach überhörte. Doch die Wanze schien das nicht zu stören. Vermutlich war die Frage sowieso nur rhetorisch gemeint gewesen.
Die Wanze spreizte nun ihre Deckflügel und fing an zu pumpen. Es schien ein recht anstrengender Vorgang zu sein denn sie bekam einen ziemlich starren Blick dabei. Ich bemerkte das, weil zufällig ein dünner Mondlichtstrahl genau auf ihre Augen fiel und glitzerte und funkelte. Dann stieß sie sich ab, fiel erst ein paar Zentimeter nach unten und gewann dann stetig und wie ein Tiefflieger brummend an Höhe. Sie benutzte das schräg durch das Dickicht einfallende Mondlicht als Leitstrahl und wurde schnell kleiner, während sie zum Mond flog.
Nein, es war natürlich keine Bar. Und eine schöne Frau die getröstet werden wollte kam in jener Nacht auch nicht in das Gestrüpp.
Wenn´s regnet (XV)
Die Finger und Hände begannen vor Kälte zu schmerzen. Das von angetautem Schnee sulzige Wasser setzte nun den platschenden Händen einen merklichen Widerstand entgegen. Und noch immer totale Dunkelheit. Es waren nur wenige Meter, bis Namensuchmann zu dem Schnittpunkt der beiden Linien gelangen musste. Dort brauchte er dann nur noch nach links abzubiegen, und nach einem weiteren Meter würde er beim Bentley sein. So die Theorie. In der Praxis jedoch begann er furchtbar zu frieren. Seine Baumwollwachsjacke wurde durch das Gewicht des Schnees auf seinen Rücken gedrückt. Er wusste nicht, ob er das als angenehm oder als störend empfinden sollte. Er fühlte sich wie unter einer dicken Steppdecke geborgen, als hätte er sich zu Hause in sein Bett gekuschelt. Im Bett hatte er immer kalte Füße, jetzt jedoch an diesem irrsinnigen Ort spürte er seit einer Weile seine Füße nicht mehr. Also konnte er sich doch genauso gut vorstellen, dass die Füße warm und trocken im Bett ruhten. Wer oder was wollte ihn daran hindern? Vielleicht jedoch würde er weniger frieren, wenn er den Schnee von seinem Rücken abschütteln würde? Es war klar, unter bestimmten Umständen konnte Schnee wärmeisolierend wirken. Doch hier und jetzt? Es war egal. Namensuchmann war zu erschöpft um sich aufzurichten und den Schnee irgendwie von seinem Rücken herunterzufuchteln. Eine andere Möglichkeit wäre, sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt, zu schütteln. Namensuchmann verfolgte diesen Gedanken nicht weiter. Er war nur kurz aufgeblitzt, um sogleich von einer Empfindung kältestarrer Glieder wieder verschluckt zu werden. Wieviel Zeit war eigentlich vergangen? Wie lange war er bewusstlos gewesen nachdem der Bentley auf die erste Linie geholpert war? Wieviele andere Leute wie er krochen in diesem Moment durch absolute Finsternis auf knapp von Wasser überspülten Noppenböden umher? War er der Einzige, dem so etwas widerfuhr? Wenn dem so war, dann war das äusserst ungerecht, fand Namensuchmann. Andere Leute hatten sicher auch mal eine Panne, ohne in einem dunklen nassen Alptraum wieder aufzuwachen.
Er hielt nun doch inne und überlegte, einen Blick auf sein Mobiltelefon zu werfen. Vermutlich war der Akku immer noch leer. Es war unwahrscheinlich, dass er sich von selbst wieder aufgeladen haben sollte. Der Blick auf ein totes Handy schien ihm jedoch nicht so sehr verlockend, um dafür mit klammen schmerzenden Fingern eine von der Kälte und Feuchtigkeit widerborstige Wachsjacke aufzuknöpfen. Eine weitere Option war, sich einfach hinzulegen und erst einmal eine Runde zu schlafen. Das nun schon eiskalte Wasser verlor zunehmend an abschreckender Wirkung. Doch Namensuchmann war klar, dass er dann vermutlich nicht mehr aufwachen würde.
Noch einmal mit links vorgreifen, dann mit rechts. Dann das linke Knie vorschieben, dann das rechte. Dann wieder mit links vorgreifen. Wunsch, die Stirn in das eiskalte Wasser zu tauchen. Etwas war anders. Namensuchmann benötigte einige Zeit um zu bemerken, was es war. Es war ein Geruch. Ein Duft. Er hob die Nase und sog kalte Luft in seine Nase. Es war der Duft nach frisch gefallenem Schnee. Diese Erkenntnis bedurfte einer Bewertung. Es war schön, dass er überhaupt endlich etwas gerochen hatte in dieser Dunkelwelt. Es war erschreckend, dass es Schnee war. Er wurde wieder der dicken fetten Flocken gewahr, die hörbar auf das nun eiskalte Wasser platschten.
"Haaalloooo". Namensuchmann erschrak ob seiner eigenen Stimme. Sie klang dumpf und beklommen, als befände er sich in einem winzigen schalldichten Raum. Er brauchte eine Weile, bis er darauf kam, dass es vermutlich an den dicht fallenden großen Schneeflocken lag, dass der Schall ohne jeden Hall einfach verschluckt wurde. Trotzdem fühlte er sich plötzlich sehr unwohl. Unwohler jedenfalls als zuvor schon. Enge Räume hatten ihm noch nie behagt.
"Rien de rien", summte Namensuchmann mehr als dass er es sang, "Je ne regrette rien"..."Mistsau"...was redete er da? Das musste sich alles erst noch erweisen. Schimpfworte auszustossen fühlte sich seltsam gut an. Er probierte noch ein paar andere aus, doch der positive Effekt ließ schnell nach. Er kauerte immer noch in sulzigem Eiswasser. Linke Hand vorschieben. Da war sie, die andere Linie, die allererste, die er entdeckte und die quer unter dem Bentley hindurchlief. Er war an der Kreuzung angekommen. Nun musste er sich linkerhand halten, dann war der Bentley nicht mehr weit. Etwas mehr als eine oder höchstens zwei Armlängen. Er machte sich schon daran, in Zeitlupentempo abzubiegen, als in ihm der Gedanke aufploppte, diese Linienkreuzung etwas näher zu untersuchen. Soviel Zeit musste sein. Würde ja nicht allzu lange dauern. Er kroch also noch ein Stück weiter, dort hin, wo die beiden Linien wieder auseinanderlaufen mussten. Seine Hände tasteten den Rand der Linien ab und er merkte, es war keine Kreuzung. Die beiden Linien trafen sich nur, sie bildeten die Spitze eines Dreiecks. Namensuchmann war froh. Auf diese Weise wurde er nicht vor die Frage gestellt, die fortlaufenden Linien vielleicht näher zu untersuchen, ihnen ein Stück weit zu folgen bis...ja bis wo? Bis er vor Erschöpfung und Kälte einfach in sich zusammensank? Die Linien zu verlassen kam nicht in Frage. Er würde den Bentley niemals wiederfinden und irgendwann in den Unterwasserabgrund sinken. Also überwechseln auf die andere Linie und zurück zum Auto, zurück zu nassen Lederpolstern, zurück zu einem Verdeck, das Schutz bieten würde vor diesen absurd großen Schneeflocken. Zurück zum Bentley. Dann würde er weitersehen.
Freitag, 12. August 2011
Fernsicht
Das Gesicht blickt in die Ferne. Die Augen sind leicht zusammengekniffen wegen der strahlenden, tiefstehenden Sonne. Die Stirn ist leicht gerunzelt, die Unterlippe wegen der Konzentration aufgeworfen. Die Einschätzung ist nicht einfach, die Bewegung im Stillstand.
Es ist das Licht einer fernen Stadt, es umhüllt das Gesicht fast gleissend. In dem Licht ist eine fremdartige Zuneigung, die sich auf das Gesicht ergießt wie ein Seidenlaken im Herbstwind. Die Füße stehen auf der roten Erde als hätten sie schon immer da gestanden und als würden sie niemals mehr woanders stehen. Die Oberflächen werden wie spiegelnd, das Innere verbergend vor dem Äusseren. Doch der Clou ist, es ist im Wandel. Das Innere wird zum Äusseren, bald ist es nicht mehr zu unterscheiden. Namensuchmann tritt hinaus in das Licht und breitet die Arme aus. Es fließt und schwebt, nach Ferne duftend.
Es ist das Licht einer fernen Stadt, es umhüllt das Gesicht fast gleissend. In dem Licht ist eine fremdartige Zuneigung, die sich auf das Gesicht ergießt wie ein Seidenlaken im Herbstwind. Die Füße stehen auf der roten Erde als hätten sie schon immer da gestanden und als würden sie niemals mehr woanders stehen. Die Oberflächen werden wie spiegelnd, das Innere verbergend vor dem Äusseren. Doch der Clou ist, es ist im Wandel. Das Innere wird zum Äusseren, bald ist es nicht mehr zu unterscheiden. Namensuchmann tritt hinaus in das Licht und breitet die Arme aus. Es fließt und schwebt, nach Ferne duftend.
Mittwoch, 10. August 2011
Nicht blau, nicht dunkel
Eine Libelle schwirrt durch das nachmittägliche Sonnenlicht, das noch glänzt und glitzert und noch keine Spur aufweist von der bald sich senkenden Abendmilde. Noch springt und jubelt der Tag als wäre der Lauf der Zeit nur eine ferne Legende, erdacht von so seltsamen Dingen wie Bäumen oder Bergen.
Die Libelle gewinnt an Höhe, umfliegt einen um diese Jahreszeit natürlich unbeblüteten Schneeballenbaum und verschwindet mit einem letzten Glitzern ihrer Flügel im Nirgendwo dahinter.
Von der anderen Seite des Schneeballenbaumes betrachtet bin ich es, der sich im Nirgendwo befindet. Doch auch im Nirgendwo gibt es Stechmücken, die man hier Schnaken nennt. Eigentlich sehr filigrane und elegante Geschöpfe, aber nun sitzt eines von ihnen auf meinem linken Fußknöchel und versetzt mir einen unangenehmen Stich. Doch anstatt sogleich danach zu schlagen, betrachte ich das Wesen für einen Augenblick. Es scheint erstmal arg abgelenkt durch seine Mahlzeit. So brauche ich mich gar nicht anzustrengen und auch nicht zu beeilen als ich es mit meinem Daumen zerdrücke. Es bleibt nur ein kleiner schwarzer Schmierfleck zurück von etwas, das soeben noch durch die klare Spätsommerluft schwebte. Meine Gedanken verweilen mitleidslos auf den tanzenden Lichtmustern auf dem Gras zu meinen Füßen. Die raschelnden Blätter der Pappel weit oben spielen die Melodie dazu.
"Möchtest du den Kopf auf meinen Schoß legen?" frage ich.
Doch die Antwort bleibt aus. Ich blicke neben mich und schaue auf die leere Bank, die schon halb im Schatten liegt. Verwittertes Holz, von den Jahreszeiten zersprungen und rissig, darauf zwei frisch gefallene Pappelblätter, winzige Samenkörnchen und grober Staub mit kleinen braunen Rindenfragmenten. Darüber ein Strom aus Zeit und Erinnerungen, wie eine Brise mich berührend.
Sonntag, 7. August 2011
Sonntagabendessen
Der Bauch rumort. Selbst ein Glas guter Rotwein kann ihn nicht beruhigen. Ich vermenge den Tomatensalat, derweil ein Strom von Leben quer über den Tisch und durch den Raum zieht. Manchmal nimmt er mir die Sicht auf die Salatschüssel, dann muss ich mich auf meinen Tastsinn und meine räumliche Koordination verlassen. Der Strom mäandert, pulsiert, wird stärker, und schwächer, doch reisst nicht ab. Ich versuche, ihn nicht zu stören.
PS: Draußen der Regen rauscht auf Blättern und Bäumen, während die Küche nach frischgekochter Pflaumenmarmelade duftet. Spätsommerdämmerung.
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