Sonntag, 28. August 2011

Sonntagmorgen


Mein Engel zieht ein seltsam gewirktes Gewebe von meinem Gesicht. Es ist nicht genau erkennbar wo es endet und wo es anfängt. Trotzdem beginnt er, es gewissenhaft zusammenzufalten. Doch erst, als er das schimmernde Päckchen unter seinem Gewand verschwinden lässt bemerke ich, dass es anscheinend aus demselben Stoff gewebt wurde.
Ich blinzele mit meinen Augen. Der Schwarm winziger Begebenheiten, eigentlich mehr eine Wolke aus glitzernden Momenten, kreist und schwebt über meinem Bett. Manchmal torkelt ein Teilchen aus der Wolke und fällt geruhsam und in der Morgensonne blinkend auf mein Gesicht, wo es sich sogleich auflöst wie ein Rauhreifkörnchen auf der Zunge. Je mehr dieser Teilchen auf mich herabschweben, desto mehr fühlen sie sich wie Sonntagmorgen an. Draußen blauer Himmel.

Ich höre leises Motorengebrumm. Weit entfernt, weit oben. Viel näher raschelt der kühle Morgenwind in den Blättern. Die Welt gleisst und schimmert. Licht und Wind durchdringen sich ungehindert. Ich könnte hinausgehen und mich dem in den Weg stellen, oder mich am Durchdringen beteiligen. Das Licht spüren, das mein Innerstes durchquert und dabei daran denken, dass Photonen keine Zeit kennen. In der Nacht sah ich hoch am Osthimmel Jupiter. Sog sein Licht in mich auf, das von einer Sonne kam, die tief unter mir auf der anderen Seite der Erde stand. Doch blickt man in den Nachthimmel, dringen auch Photonen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle auf die Netzhaut. Man sieht sie nicht, und doch finden sie ihren Weg durch das Auge in unseren Körper. Lichtteilchen, die seit dem Urknall durch Raum und Zeit reisten und nun als Energiequanten in meinem Körper schimmern, aber nur für Engelsaugen.

Mein Engel sitzt jetzt am Fußende auf meinem Bett und blickt versonnen nach oben in die glitzernde Wolke. Ich könnte ihn jetzt anfassen, denke ich, unternehme aber keinerlei Anstrengung, dem Gedanken eine Tat folgen zu lassen. Es ist Sonntagmorgen und die Welt ruht gleissend und gedankendurchwebt im Herbstlicht. Wieder entferntes Motorengebrumm hoch am Himmel. Es stört nicht, es steckt lediglich Entfernungen ab, die auf mich herniedersinken wie ein abgeschnittenes weiches Band, sich zu endlosen Schlingen und Biegungen auffaltend.

Ich sollte aufstehen und den Entenstall öffnen. Schranze und Marie warten bestimmt schon ungeduldig unter ihren eigenen Augenblickswolken. Im Widerschein ihrer stets lächelnden Gesichter die blinkend niedersinkenden Ausreisserteilchen, wie winzige silberne Spiegelchen Strahl für Strahl verschickend. Ich bewege unter der Bettdecke meinen Fuß. Mein Engel senkt langsam seinen Blick und schaut nun zu mir mit seiner undeutbaren Miene. Er scheint zu warten. Ich hebe etwas meinen Kopf und schnüffle unauffällig in der Luft. Es riecht leicht nach den violetten Distelblüten, über die sich die Hummeln hermachen hinterm Haus. Ich vermute daher, auch Hummelhintern duften nach Distelblüten.



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